Special Thanks to Fulgur Ovid for letting us translate his great storyline into German!

12.06.2022

Schlaflose Nächte

 

Schlaflose Nächte

 

Es gab eine Zeit, in der ich schlaflose Nächte für einen Fluch hielt. Der Schlaf war ein Ausbruch aus der sterblichen Hülle. Ein vorübergehender Aufschub des Bewusstseins, der uns alle heimsucht. Im Schlaf war ein Trost. Gefangen in einem Zustand zwischen Leben und Tod, in dem der Geist abschaltete und der Körper sich wieder auflud, gab es wenig, was mich stören konnte.

Wie lange war es nun her, dass die Schlaflosigkeit begann? Vor dem Massaker, so viel ist sicher. Hätte ich in dem Alter noch das Herz gehabt zu schlafen, wäre ich vielleicht freundlicher zu dem Mann gewesen, der mir meine Augen gegeben hat. Noch vor den Operationen. Diese trüben Fenster zu meiner Seele, passen zu der Person, die ich zu dieser Zeit war. Wäre ich nicht schon so ausgelaugt und gebrochen, wie könnte ich dann als Frankensteins Monster wieder auferstehen? Vielleicht habe ich nie wirklich eine Nacht durchgeschlafen. Ich habe nur einen Traum vom Schlaf. Eine künstliche Vorstellung von menschlicher Ruhe.

Ich nehme einen Schluck von der klaren Flüssigkeit in meinem Glas und spüre, wie sie mir die Kehle hinunterbrennt. Bevor es meine Brust erwärmt, gibt es eine Pause. Meine Augen weiten sich ein wenig. Kaum wahrnehmbar, wie ein Schatten in der Dunkelheit. Noch ein Schluck. Dieses Mal fließt es natürlich. Zwei Finger an der Seite meines Halses bestätigen die Funktion meines Throa2. Ich leere das Glas und schütte ein weiteres ein. Die darauf folgende Stille, wird nur durch das endlose Ticken einer analogen Uhr in der Ecke unterbrochen.


Schlaflose Nächte könnten möglicherweise ein Segen sein. Ein Schutz gegen das Unterbewusstsein, das auf der Lauer liegt, zusammengerollt und mit giftigen Zähnen. Ein Gesicht schießt mir durch den Kopf. Es war so lange her, so unbedeutend, dass es kaum eine Rolle spielte. Leuchtend grüne Augen. Wildes braunes Haar. Das katzenhafte Grinsen, das in der Dunkelheit der Nacht aufgeblitzte. Diese grüne Brille, die ihm erlaubte, in der Ferne zu sehen. Die spöttische Stimme, die mich aufgestachelte. Die Krallen, die immer und immer wieder in mein Fleisch schnitten. Alles wie immer und nichts, was ich mir gemerkt hätte... zumindest nicht bewusst. Es war ein Gesicht, das ich in den letzten Wochen kennen gelernt hatte. Immer grinsend, immer schelmisch und voller Leben. Dasselbe, das ich heute vor Angst zittern sah.

 

"Er ist nicht mehr wütend, FuuFuu-chan. Er hat Steaks gemacht, um sich zu entschuldigen."

"Kyoudai, komm schon, wir schauen einen Film an."

"Fuu-chan, er hätte deine Waffe nicht stehlen sollen. Komm raus und lass uns abhängen."

Das letzte Klopfen an meiner Tür war nur das. Ein Klopfen. Kein Geräusch von Schritten, die kommen oder gehen. Kein Wort zu dem Monster, das ihn auf den Boden geschleudert und ihm beinahe die Faust in die Brust gerammt hatte. Irgendjemand hatte ihn wahrscheinlich gezwungen, überhaupt anzuklopfen. Irgendwann sehen sie es immer. Was ich bin. Was ich nie sein werde.

 

Mein Blick fällt auf den Netjack, der zusammen mit einer Flasche Gin, sorgfältig auf dem Schreibtisch platziert ist. Es ist keine Waffe, nicht wirklich. Vielmehr handelt es sich um ein Werkzeug zum Abschalten von elektronischen Geräten. Kein Mensch kann damit verletzt werden und es ist unwahrscheinlich, dass irgendjemand außerhalb meiner Zeitlinie im Stande sein würde sich mit dem neuralen Netzwerk zu verbinden und es zu aktivieren. Dieses spöttische Lächeln, während er es so unbekümmert in die Luft warf. Er hatte keine Ahnung, womit er da spielt. Wie viel Schaden es in den falschen Händen anrichten kann. Den es bereits getan hatte in der dunklen Zukunft, die meine neonleuchtende Vergangenheit ist. Ich habe dieses Bild schon einmal gesehen. Ein Phantomdieb mit einer tödlicheren Waffe, als er überhaupt verstehen kann. Ich habe entsprechend gehandelt.

 

Nur der Name, den er schrie, als meine Faust durch die Luft flog, riss mich aus meinen Erinnerungen. Wo hatte ich diesen Namen schon einmal gehört? Warum hat der Phantomdieb diesen Namen gesagt? Erst als ich eingeschlafen bin, hat sich alles zusammengefügt. Derselbe Name, in zwei Zeitlinien. Das gleiche Gesicht, mit einem anderen Namen. Die gleiche Waffe, die ihre Funktion erfüllt.

 

Trotz all der Lügen, die ich mir selbst einrede, hat es mich auf einer gewissen Ebene nicht losgelassen. Es hat mich aus der Erinnerung herausgeholt, in der ich begraben war. Ich leere das Glas Gin noch einmal und kippe eine leere Flasche nutzlos über das Gefäß. Nur ein weiterer beendeter Auftrag des Legatus 505. Alkohol war eine weitere Möglichkeit, dem Bewusstsein zu entkommen. Leichter zu erlangen als Schlaf. Bei einer Vorgeschichte, wie der meinen, weniger giftig.

 

Ich stehe auf, taumle ein wenig und stütze mich an der Wand ab. Ich fühle mich schwach. Menschlich. Nicht das Monster, zu dem ich gemacht wurde. Im Traum hat es sich ähnlich angefühlt. Von Kopf bis Fuß mit Blut bedeckt. Ein Arm fehlt und gezielte Schnitte an lebenswichtigen Stellen. Die Krallen der Katze hatten ihr Werk getan.

 

Fingerspitzen wandern zu meiner Wirbelsäule und ertasten das Metall, das sich dort gegen den Stoff meines Hemdes wölbt. Das sanfte Glühen, das von ihnen ausgeht, beleuchtet das Rot und Schwarz meiner Hand, bevor ich sie wegziehe. Es tut nicht mehr weh. Ich habe alle Teile herausgerissen, die wehtun. Du wirst mich nicht, in Panik Namen schreiend, auffinden.

 

Wen sollte ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch rufen? Selbst in einer anderen Zeit, in der es keine Schlachten zu schlagen oder geliebte Menschen zu rächen gibt, bin ich immer noch nur eine Maschine. Jetzt habe ich nicht einmal eine Bestimmung. Keine Legatio, die mich anspornt und die sich windende Schlange abwehrt. Ich nehme die leere Flasche und mache mich auf den Weg zur Tür, die ich zum ersten Mal seit zwei Tagen öffne.

 

-Plumps-

Ich springe alarmiert zurück, die Flasche bereit. IIs schnellen von Ecke zu Ecke, in Erwartung einer weiteren IED.

 

Der Phantomdieb ist zu einem Ball zusammengerollt und hatte sich offensichtlich gegen meine Tür gelehnt. Selbst der Sturz auf den Boden, als sich die Tür öffnete, hat ihn nicht aus seinem Schlummer geweckt, und sein Gesicht liegt nun in einem Durcheinander aus kaltem Steak und Spargel versunken.

"Tss~"

Ein leises Kichern, mehr ein Ausatmen als ein Lachen, entweicht meinen Lippen.

"Dumme Katze. ...Bringen wir Dich ins Bett."

 

 

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Translator: Arina

Proofreader: Drawn

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