Kapitel 3: Parasocial in Stockholm
Body-Horror, Gore, Selbstverletzung, Entführung, Mord
Tropf. Tropf. Tropf.
Tropf. Tropf. Tropf.
Schwarz. Es ist eher eine Schattierung als eine Farbe, absolut, wie ihr strahlend heller Gegner.
Dunkel, grimmig, unerbittlich. Die Farbe von endlosen Nächten, von vulkanischer Asche, von tödlichem Nachtschatten, der jeden herausfordert, wer töricht genug ist, einen Bissen zu nehmen. Das unvollständige Kind starrt nach unten zu seinen tiefschwarzen Händen, graue Schrauben und Gehäuse halten sie zusammen, rotes Blut dringt auf jeder Oberfläche, in jede Spalte. Es tropft runter zum Boden, wo dessen Gewicht verbleibt, als ein unvergänglicher schwarzer Punkt.
Die Hände zucken etwas, beschädigt von den schweren Schlägen, die ihnen zugefügt wurden. Die Kerben und Beulen erzählen eine Geschichte. Gerechtigkeit, sagt er sich selbst, getrübt vom Blutbad. Vergeltung, möglicherweise, betont mit Schüssen einer Pistole. Massaker, sagen sie, verurteilen, bevor sie überhaupt der ganzen Geschichte zuhören. Nur ein Ablenkungsmanöver, innerhalb der grauen Angelegenheit, der bunten Vorgeschichte vom schwarzen Schaf.
„Ovid!“ Ruft eine Stimme aus. Es hallt durch die Fabrik, der Bass vibriert bis in sein Innerstes. Das war sein Name. Das war er schon immer. Nur ein Schaf, geleitet von irgendeinem beliebigen Schäferhund, der gerade in seine Richtung bellte. Er dachte schon immer, dass er auf der Schlachtbank enden würde, dennoch kniet er hier, bedeckt von Kopf bis Fuß in Blut, wie ein Schlachter.
„Canis, wir müssen ihn zu uns nehmen. Diese Cynets, sie sind unvergleichbar zu allem anderen, was Du der Legion bisher übergeben hast. Was hast Du Dir nur dabei gedacht...“ Eine sanftere Stimme, kühl und eisig, im Vergleich zu der Wärme der Vorherigen. Der Wolf und der Jagdhund umkreisen das Schaf, sie fletschten einander ihre Reißzähne, als sie um ihre Beute kämpfen. Später werden sie alle im selben Rudel sein, aber nicht jetzt, während der Geruch vom Fleisch sie weiterhin verlockt.
Klopf. Klopf. Klopf.
Ich starre herunter zu meinen Händen, ich beobachte, wie das Rot von der tintenschwarzen Oberfläche abtropft. Wasserfest. Sie sind mit einem Anstrich behandelt, der zur Sicherheit Wasser von sich fließen lässt. Warum hört das Tropfen dann niemals auf?
Meine Augen erblicken einen Bruch am Ende meines Vorderarmes. Er ist klein, aber verbeult genug, um einen kleinen Einblick in das innere Gewebe zu geben. Drähte statt Nerven. Schläuche statt Adern. Schichten von Kohlefasern, um das Zucken und Anspannen der Muskeln nachzuahmen.
Eine bleiche, bernsteinfarbene Flüssigkeit fließt sachte aus dem Riss und tropft mit dem Blut zum Grund. Einer Art ätzende Lösung, die ich damals nicht verstand. Zu dem Zeitpunkt wusste nur ein Mann was mich, mich macht. Ich denke, also bin ich. Möglicherweise dachte ich damals zu viel.
Die Finger von meiner anderen Hand beginnen am kleinen Riss zu kratzen, sie graben sich in den Zwischenraum und öffnen ein Fenster in meine innerste Anatomie. Drähte um Nerven zu ersetzen... künstliche Neuronen und Synapsen tragen Nachrichten vom Ursprung zu dieser Hülle. Meine Faust windet sich um das Bündel Nerven, als mein ganzer Kopf Warnungen bei der Übertretung schreit.
„Ovid, stopp! Geh aus meiner-“
Ich sehe nichts als Rot, während ich aufschreie und das Bündel Drähte aus meinem Arm reiße. Die grauen Kabel beginnen sich lose zu ziehen, jeder Zentimeter Bewegung fühlt sich so intensiv an, als ob es mit Widerhaken versehen sei und das Metall Fleisch. Meine Sicht verschwimmt zu Schwarz, als der Schrei abschneidet und durch Stille ersetzt wird, die ganze Luft aus meinen Lungen entrissen, genau wie die Nerven. Ich mache weiter, ziehe und reiße, auch als ich zum Grund kollabiere. Mehr und mehr Kabel gleiten aus meinen Arm, aber der Schmerz endet nicht dort. Ich fühle wie es tiefer zerrt. Es kommt durch meinen Oberarm, meine Schulter und fängt sich an meiner Wirbelsäule, am unteren Ende meines Nackens.
Noch ein Schrei mehr und der letzte Ruck führen dazu, dass die Drähte letztendlich frei reißen, von was ich dachte, dass es meine Wirbelsäule sei. Da ist ein anderes Geräusch, das ich in meinem Inneren höre und fühle. Die Kabel reißen sich frei vom Metall. Das Klicken und Schnippen vom Mechanismus, der auf die Beschädigung reagiert und weiteres Versagen verhindert. Der mechanische Arm wird schlaff, aber ich fühle noch immer das Bündel Kabel, die in Qual schreien als sie auf den Boden verkrumpeln und mehr von der bernsteingelben Lösung auf sie sprüht. Eine brennendes Gefühl, viel intensiver als alles was ich jemals von meinem eigenen Fleisch fühlte.
Mehrere Stimmen sind erhoben in Beunruhigung, während der Rest meines Körpers hinab fällt und schlaff auf dem Boden liegt. Das rote Blut plätschert und bildet Wellen um mich herum, derweil Zuschauer dadurch stampfen. Die grauen Kabel pulsieren leidend, während sie im verschütteten Leben der anderen schwimmen. Meine Sicht schwindet noch einmal, als ich barmherziger Weise ihn Ohnmacht falle, fliehend von den dämmerigen Fragen, für zumindest ein paar Stunden.
Rot, Grau, Schwarz: Die grundlegenden Farben, die meine Welt malen.
*******
Piep. Piep. Piep.
Meine Augen öffnen sich, kämpfen gegen das Gewicht von einem Rem-Zyklus, den sie seit Monaten nicht gefühlt haben. Der Hauch von einem Geruch lauert weiterhin in meinen Nasenlöchern. Metallisch wie Rost. Ätzend wie Säure.
Zwei Finger an der Seite meines Halses verbinden mich zu dem Anrufer auf der anderen Seite, und eine eisige Stimme dröhnte hindurch, als wären wir schon in mitten einer Konversation.
„Fulgur? Ich habe schon 4 Nachrichten gesendet und zweimal angerufen. Sag nicht, dass Du wirklich am Schlafen warst?“ Da war ein Anzeichen von einer Pause, und ich öffne meinen Mund um zu antworten, jedoch fährt sie schon fort. „Wahrscheinlich eher am Trinken, hab ich Recht? Nun, bist Du nüchtern genug um eine Legatio zu übernehmen?“ Die Stimme pausiert für eine Sekunde und ich höre ein tapp tapp tapp von Fingernägeln auf einem Schreibtisch. Ich lasse die Stille in der Luft hängen, als ich schon vom Bett rutschte und mich für den Tag ankleide. Es ist unmöglich zu sagen wie viel Uhr es ist, aber dies ist von keiner Bedeutung für einen Legatus. „Wie viel genau hast Du getrunken?“ Fragt die Stimme, mehr ein Vorwurf, als eine Frage.
„Ist das rhetorisch oder-“
„Er hat ja eine Stimme!“ Ein kaltes Lachen, das ich nur über das Handy höre, klingelt in meinen Ohren, wie das Zerschmettern eines Eisberges in der Wildnis. Sie ist so anders als ihre Persönlichkeit, wenn man vor ihr steht. Schwerer umgänglich. Aber genau die gleiche Stimme... „Ich habe Dir die Auftragsdetails geschickt. Zweimal glaub ich- dreimal. Schau sie Dir an und sei dort wenn Du kannst. Ich hab Dir diese reserviert.“
„...Warum?“ Frage ich, ich bin ehrlich gesagt, wirklich neugierig über ihren Entscheidungsprozess. Ich bin dazu gebaut um Barrieren durchzubrechen und feindselige Zielobjekte zu neutralisieren, dennoch musste ich, für die letzten Aufträge, die mir vom Praetor gegeben wurden, nicht einmal den Energiespar-Modus deaktivieren. „Hallo?“ Da war kein Ton, dass die Leitung unterbrochen wäre. Nur die Stille und meine eigene Stimme, die in meinem kleinen Zimmer zurückhallt, um mir zu bestätigen, dass sie bereits fort ist.
Warum sollte sie sich die Mühe machen, Anzurufen und Nachrichten zu senden, wenn sie sich sowieso direkt mit meinem Neuralen Netzwerk verbindet?- Und das noch ohne Erlaubnis. Jeder andere Legatus hätte vielleicht ein paar Wörter mit anderen Praetoren zu wechseln.
*******
Marktbezirk 6. Der Himmel nimmt gerade erst ein dunklerer Ton von Blau an, als ich bei dem herunterkommenden Gebäude ankomme, das von meinem Zielobjekt bewohnt wird. Im Duoverse, ist das Gebäude selbst nicht sichtbar. Nur eine Werbefläche, welche mit fünf anderen nahlegenden Gebäuden kombiniert, eine Endlosschleife von billiger Werbung abspielt.
„Cheshire Kat wird kommen!“ Verspricht mir der Bildschirm, als ein großes und schlankes Katzenmädchen selbstsicher auf eine Bühne schreitet, verschmitzt grinsend hinter einem übergroßen Mikrofon bevor es verschwindet. Ich mache mich auf meinen Weg in das Gebäude, und sehe viele andere 5-Sekunden Anzeigen von kleinen Streamern und Influencern. Jedes Gesicht hoffend, dass es groß rauskommt und der nächste Hit sein wird.
Jeder einzelne von diesen Hoffenden verdienen vielleicht ihren Namen in den Lichtern. Wie es war, mussten sie den Werbeplatz kaufen. Fünf Sekunden Zeit für einen einzigen Versuch, die Augen irgendwelcher Bürger zu erwischen, die zufälligerweise vorbeifuhren. Jede Anzeige sah mehr gewöhnlich aus als die Letzte, mit geistreichen Slogans, cleveren Logos und einzigartigen Bildern, die alle ineinander zu einer diesigen Erinnerung von Neonlichtern verblenden. Zu dem Zeitpunkt als ich die Aufzugsruftaste, auf der Tür darunter, drücke, habe ich schon alle Namen und Slogans vergessen. Die Wohnungsnummer die ich brauche, die einzige Erinnerung beibehalten von dem Weg.
„Hallo? Ist das der Legatus?“ Fragt eine besänftigende Stimme durch die Gegensprechanlage. Ich pausiere wieder, überrascht von der Gelassenheit, mit der ich begrüßt werde.
„Ja. Ist das... Iris Park?“ Frage ich, plötzlich unsicher über den Namen der mir übermittelt wurde, oder ob der Bericht überhaupt korrekt gewesen ist.
„Ja, das ist sie!“ Sie klingt erfreut über meine Ankunft und die Türen vor mir gleiten offen, ein altmodisches piiiing Geräusch kündigt das Eintreffen des Fahrstuhles an.
„Mmmn?“ Eine gespannte Ausatmung von Luft entflieht meinen Lippen, als ich hinein trete.
Die Gerüche von Urin, faulem Essen und schimmeligen Klamotten überfallen sofort meine Nasenlöcher. Sobald sich die Türen geschlossen haben und die klapprige Maschine beginnt sich zu aufzusteigen, wird die ganze Luft aufgeschüttelt, die Gerüche intensivieren sich und versichern, dass ich nach der Mission eine Dusche bräuchte.
Als ich den Fahrstuhl verlasse, richten sich, aus den offenen Wohnungseingängen, die verwirrten Blicke von mehr als einem Duzend Bewohnern auf mich. Äußerlich bin ich ein Bild von unerschütterlichem Gleichmut. Ausdruckslos, ruhig, selbstsicher durch die Korridore bewegend, ohne ein anderen Gedanken. Innerlich, kann ich die aufsammelnde Galle in meinem Bauch fühlen, von der kleinen Menge Gin, die ich die Nacht zuvor zugebender Weise konsumiert hatte.
Nicht genug um betrunken zu werden oder ein Kater zu bekommen, lieber Zuhörer. Chill. Nur genug um die Sinne zu trüben, bis irgendein graues Rauschen, das meine empfohlene Playlist raussucht, mir hilft in Ohnmacht zu fallen.
Da ist etwas Falsch mit diesem Bild... Ich halte Blickkontakt mit ein paar Einwohnern, die Meisten geraten in Panik und schließen ihre Türen. Ein nicht-so-feines Knarren oder Klopfen signalisiert, dass jede wieder geöffnet wurde sobald ich ein paar Meter daran vorbei gegangen bin. Sie sehen alle so... dreckig aus. Ihre Haare sind unordentlich und fettig. Ihre Haut ist fleckig und verbrannt. Klamotten hängen eher lose von ihren Körpern, als ihre Figur zu zeigen. Es sind auch deutlich mehr Cynets sichtbar, als ich es gewohnt bin. Billige Filtergeräte und unangepasste Prothesen, die das trübgelbe Licht von den Glühbirnen über ihnen fangen.
Bzzzzzzzz~
Meine Augen blicken vorsichtig zu einem dieser Lichter hinauf, als ich vorbei laufe. Es flackert leicht und stößt ein leises, hohes Quieken aus. Echtes Licht?
Ich blinzele zweimal, was bestätigt, dass sich nichts im Flur verändert hat. Zwei Finger auf meinem Nacken versuchen eine Webseite hervorzurufen, aber nichts geschieht. Ich blinzele nochmal zweimal und sehe, dass die Webseite schon auf mich wartet, das einzige pulsierende und schimmernde Bild in meinem Blickfeld.
Während ich die Website schließe, flitzen meine IIs links und rechts, noch einmal in die Gesichter im Gang erspähend. Wie hab ich es nicht vorher bemerkt? Ich habe mich zu sehr daran gewöhnt, das Duoverse abzuschalten, die Realität in ihrer stillen und leblosen Form zu sehen. Obwohl das Gebäude innerhalb der Zentralrepublik liegt, ist die ganze Inneneinrichtung ohne irgendeine DV Anpassung. Alle Gesichter, die mich, vorsichtig und neugierig, aus ihren eigenen sicheren Bereichen heraus anschauen, sind pure Uni. Außer ein paar weniger Paare von IIs, die schwach in dem trüben Licht leuchten, scheint keiner überhaupt Brillen oder Headsets zu besitzen, um das Duoverse zu betrachten.
Mein Gang wird etwas schneller, als ich realisiere wie bloßgestellt und wehrlos ich bin. Zu dem Zeitpunkt, als ich die Nummer 42 zu meiner Rechten auftauchen sehe, bin ich schon fast am Joggen. Die Tür öffnet sich und überrascht mich, als ich mich vorstrecke, um daran zu klopfen. Ich schiebe mich an der Person vorbei, die mich durch den Rahmen willkommen heißt, dessen Gastfreundschaft abgeschnitten, als ich mich durch die Dunkelheit bewege und drehe ich mich erst auf meinen Sohlen beim nächsten Eingang, der in das Wohnzimmer zu führen scheint. Ich fühle mein Gesicht zu einem verbissenen Ausdruck zusammengezogen und meine Fäuste fest geballt, keines von Beidem ist sehr Legatus von mir.
Mein Gastgeber schließt schnell die Tür hinter mir, unregelmäßig hustend, in eine gebrechliche Hand. Wir stehen dort für einen Moment, ich, zitternd wie ein verletztes Tier, und sie, hustend und schließlich kollabierend gegen den Rahmen der Tür.
Ein weiterer Moment vergeht, bevor ich metallischen Fingerspitzen durch mein graues Haar fahre, um ein paar feuchte Haarsträhnen weg zu streichen, die mir in die Augen gefallen sind. Ein Seufzen entwischt meinen Lippen, bevor ich mich entspanne und mit lauter Stimme zur schwächlichen Gestalt sage, „Geht es Ihnen gut? Muss ich Ihnen irgendwas bringen?“
Ein paar weitere Huster entfliehen ihren Lippen, als sie sich wieder hochzieht, die Klinke der Tür für Stabilität verwendend. „Wasser -Hust- nicht Du. Möchtest Du etwas -Hust- zu trinken?“ Mehr sich vorwärts ziehend, als gehend, begibt sich mein Gastgeber zu einem Nebenraum und das Geräusch von Flüssigkeit, die in einem Behälter gegossen wird, übertönt einige der anhaltenden Husten- und Keuchgeräusche.
Ich verfolge den Ursprung des Geräuschs, und finde mein Gastgeber, das erste Glass an Wasser für sich selber eingießend, bevor sie ein weiteres füllt. „Sind Sie sich sicher, dass es Ihnen gut geht?“ Frage ich. Daraufhin zuckt sie ein bisschen zusammen, und dreht ihr Gesicht zu mir, während sie sich mit einer Hand am Waschbecken hinter ihr festhält.
Graues Haar fällt an ihrer Gestalt, auf der einen Seite ist es zu einem lockeren Zopf gebunden, der über die Vorderseite ihrer Schulter hängt. Zwischen dem dunklen Grau und Silber liegt ein Hauch von Blond. Funken von Leben in einem Wintersturm. Ihre leicht im Schädel versunkenen Augen sind blassblau, zitternd als sie sich in Panik weiten. Ihre Haut ist so blass, dass sie wie ein Gespenst wirkt, verschwimmend in den gedämpften Grau- und Brauntönen des Raumes. Es hilft auch nicht, dass sie ein langes, fließendes Sommerkleid trägt, das in der leichten Brise der Klimaanlage weht. Das Pastellblau des Kleides ist, durch jahrelanges Waschen und Wiedertragen, auf die Farbe von Kreide verblasst. Die Blumenmuster und die Form der ursprünglichen Nähte sehen missgestaltet und unförmig aus, durch unzählige Risse und Ausfransungen, die in einfacher Handarbeit geflickt wurden.
Die Gestalt pulsiert und schimmert. Es ist ein Duotar, daran besteht kein Zweifel. Ein verblüffend schlichter Duotar, der auf eine gebrechliche Gestalt mittleren Alters hinweist. Nicht so alt, dass sie so schwach sein sollte. Schön und zart, mit Zügen, die man so nicht sieht in der Republik, dem Land der ewigen Jugend, für die, die es sich leisten können.
Ich schließe die Distanz zwischen uns in drei Schritten, nehme das Glas aus einer zitternden Hand und fülle es erneut mit Wasser aus einem Krug, von dem ein schwacher Geruch von Eiern ausgeht. Ich reiche ihr das volle Glas und überlege mir genau, was ich als nächstes tun soll. Irgendetwas an dieser Sache fühlt sich noch seltsamer an. Ich könnte es jetzt mit einem einzigen Schlag beenden. Das würde uns beiden eine Menge Panik und Wirrwarr ersparen. Es ist eine Gefälligkeit, sage ich mir, als sie das Glas nimmt. Meine leuchtend rote Faust, die nun von ihrer Last befreit ist, sinkt an meiner Seite. Schwerelos. Wartend.
Sie beruhigt sich sichtlich, drückt ihren Körper hoch zu voller Größe mit ihrer linken Hand und fährt mit der gleichen sanften Stimme wie zuvor fort.
„Es tut mir leid, wenn ich Sie besorgt habe, Legatus. Meine Hardware scheint zu versagen. Vielleicht ist es mein Schicksal, mit oder ohne Ihre Unterstützung, mich Tinea anzuschließen.“ Ein Lächeln erscheint auf diesen dünnen Lippen, welches auslöst, dass eine Unzahl an Falten überall auf dem Rest ihres Gesichtes bildet. Wo zuvor ihre Augen eingesunken aussahen, die Haut hängend von ihren Knochen, wirkt sie jetzt lebendiger, strahlend mit Glanz, ich noch nie zuvor gesehen habe. Trotz den Falten und Leberflecken, sieht sie vitaler aus, als die meisten die sich lebendig nennen.
„Sie sind Iris?“ Bestätige ich. „Die, die die Legion angerufen hat?“
„Iris Park. Es ist mir eine Freude. Ich hab noch nie zuvor einen richtigen Legatus getroffen. Aber nun ehrlich, willst Du etwas trinken? Sonst ist es alles verschwendet.“ Iris tippt auf ein Kabinett über dem Waschbecken, das Schachteln offenbart, beschriftet mit unterschiedlichen Namen von Tee und dann schwingt sie die Tür zu einem Kühlschrank offen. Ich konnte mir selbst nicht anders helfen als vernehmlich nach Luft zu schnappen, begrüßt von mehreren Flaschen Wein, die in einem Regal kühlen, einige Flaschen von bunten Flüssigkeiten, benannt mit Namen von unterschiedlichen Früchten, eine ganzen Sektion von frischen Erzeugnissen und sogar eine Flasche Milch. „Wir haben auch Teegebäck! Du kannst Dir nehmen was auch immer du willst, bevor du gehst.“
„Ist das alles echt?“ Frage ich, kaum vernehme ich die Frage selber. Zur gleichen Zeit lasse ich die Akten der Legion in meinen IIs erscheinen und beginne durch die Finanz Unterlagen von Tinea Park zu blättern. Gewiss, der Mann hatte mit großen Investitionen in seinen 30ern zugeschlagen, fast 40 Jahre früher und lebte von den Zinsen seitdem, immer nahm er weniger Geld raus als er jährlich verdiente, ohne jemals zu arbeiten. Warum dann in solch einem Dreck leben?
„Warum sollten sie nicht echt sein?“ Iris neigt ihren Kopf zur Seite. Sie nimmt einen kleinen Schluck Wasser, bevor sie einen Apfel aus dem hinteren Teil des Kühlschranks holt und ihn an ihre Nase hält. Ein kaum hörbares Schnuppern ist zu hören, bevor Iris mir den Apfel hinhält. „Zu meiner Zeit gab es so etwas nicht, weißt Du. Du musst es schätzen. Nach dem Fall hatten wir nur noch die Grundbausteine der Ernährung und alles hatte den gleichen kreidigen Geschmack.“
Ich strecke die Hand langsam aus, meine Fingerspitzen umschließen den Apfel, während ich ihn zu meiner eigenen Nase bringe. Ein Duft, wie ich ihn noch nie erlebt hatte, löscht alle Erinnerungen an den Aufzug aus. Es ist fast genug um mich von meiner Aufgabe abzulenken, aber die Frage verfolgt mich noch immer. Der Grund dafür, dass ich merke, dass etwas nicht stimmt, wird immer klarer und klarer.
„Was meinen Sie mit 'in deiner Zeit', Iris?“ Ich stelle die Frage, auf den Apfel starrend. Ein karmesinrotes Spiegelbild meiner eigenen verzerrten Gestalt schaut zu mir zurück. Ich versenke meine Zähne in das weiche Fruchtfleisch, der Saft quillt leicht aus meinem Mundwinkel. Ich habe noch nie eine Nachahmung einer Frucht gegessen, geschweige denn eine echte, somit lässt meine Form zu wünschen übrig. Ich wische den Saft mit dem Handrücken meiner Faust ab, die klare Flüssigkeit tropft mit hörbarem Geräusch, vom Metall hinunter auf den Küchenboden.
„Als ich noch am Leben war. Bevor ich zum I'mprint wurde.“
„Also wissen Sie, dass Sie ein I'mprint sind?“ Frage ich.
„Natürlich.“ Kommt ihre simple Antwort. „Iris Park, ein I'mprint kopiert von dem Uni, Iris Oscen. Ich bin verheiratet mit Timea Park und diene ihm als seine Lebensgefährtin seit bereits…30 Jahren?“ Iris läuft an mir vorbei und geht zu einem großen Liegestuhl im Wohnzimmer und sinkt langsam in ihn, bevor sie sich zurücklehnt. Ich beobachte all das mit großem Interesse, nicht genau sicher wie ich vorgehen soll. Ein weiterer Biss in den Apfel fällt viel leichter als der davor, mit keinem Tropfen Saft fließend.
Ich trete in den nächsten Raum, Iris Augen neugierig auf mich fixiert. Alles nach dem Türrahmen in dieser Wohnung pulsiert und schimmert. Ein Willkommen Schild, das ich nun bewusst wahrnehme. Ich schaue mir die Dekoration an, finde ein Fotoalbum bedeckt mit Staub und tippe es zweimal an, eine kleine Wolke an Dreck weht von ihm. „Es ist materiell“, Iris lacht, als sie merkt, dass ich es erwartet hätte, dass es ein Virtuelles Album sei, das ich im Duoverse öffnen könnte. „Alles in hier scheint ein Duotar zu haben, ist aber auch reell. Timmie war ein komischer Mann.“ Ein Hauch von Trauer schleicht sich in die Stimme von Iris, beim letzten Satz. 30 Jahre baut Anhänglichkeit, anscheinend sogar in Software.
Ich blättere durch das Album, und werde von einem Paar lächelnder Gesichter begrüßt. Die Frau in einem strahlend weißen Hochzeitskleid ist bezaubernd. Langes, goldenes Haar gebunden in einer Reihe von Zöpfen, ein geübtes Lächeln, das eine Geschichte im Posieren vor der Kamera erahnen lässt, strahlende blaue Augen, die Farbe des Himmels hinter ihnen. Iris war schon immer wunderschön. Kein Wunder, dass ein I'mprint von ihr für 30 Jahre von einem Mann behalten wurde, reich genug um alles zu kaufen. „Ist das Timea?“ Frage ich, den durchschnittlichen Mann in einem hellblauen Anzug neben Iris betrachtend.
„Das ist er.“ Bestätigt Iris mit Frohsinn in ihrer Stimme. „Wie gesagt, er war ein komischer Kauz. Immer zu hat er mich zu virtuellen Ferien genommen und bestand darauf, dass wir Fotos machten.“ In diesem Foto hätte er ihr Vater sein können. Pummelig, mit einem schlecht passenden, billigen Anzug, der nichts tut um seiner Figur zu schmeicheln. Ich blättere weiter durch das Album und finde mehr davon. Seine Kleidung war immer Form über Mode, während Iris in einer sich ständig ändernden Anordnung teurer Kleider und Accessoires zu sehen ist. Timea sah nie wie ein Ehemann aus, auch als sie begannen weniger distanziert im Alter auszusehen. Jedoch war da etwas an diesen Gesichtsausdrücken und Posen. Iris hat sich von der frechen Zurschaustellung in jeder Aufnahme, zu einem Teil des Ganzen entwickelt. Ihre Gesichtsausdrücke wurden von feurig und verführerisch, zu warm und einladend. Es schien weniger Distanz zwischen dem Paar zu sein, obwohl in ein paar früheren Fotos von ihnen, Iris wortwörtlich von Timea hing.
Ich schließe das Album und lege es zurück auf den Tisch auf dem ich es fand. „Sie wissen warum ich hier bin?“ Frage ich, und drehe mich um, um Iris ins Gesicht zu sehen. Das warme Lächeln ist auf mich fixiert, beunruhigt mich wieder einmal und erschüttert meine Entschlossenheit.
„Natürlich. Du bist ein Legatus der Division 505. Ich habe angerufen als sie Timmies Körper mitgenommen hatten“, Antwortet Iris mit einem nüchternem Ton. Ich sehe mich noch einmal im Raum um, ich fasse einen nahelegenden Blumenstrauß an, der pulsiert und schimmert und stelle fest, dass auch er reell ist.
„I'mprints sollten herunterfahren, wenn ihr Besitzer als verstorben bestätigt ist.“
„Ich weiß!“ Iris lässt ein wenig Panik in ihrer Stimme erklingen. „Ich verspreche Dir, dass ich nicht gehackt wurde. Ich weiß genau was ich bin und Timmie würde sowas niemals tun. Das muss irgendein Glitch sein, aber ich kann ihn nicht selber beheben. Jedes Mal, wenn ich herunterfahre, schalte ich einfach wieder ein.“ Ich laufe rüber zu Iris, meine Hand reichend, Handfläche nach oben gerichtet und warte darauf, dass sie sie nimmt. Sobald wie uns berühren, fühle ich die Nachgiebigkeit von Gewebe, das lose hängt, von was sich wie echte Knochen anfühlt. Wie sensibel auch meine künstlichen Gliedmaßen auch sind, sie wurden schon einmal von teuren Spielzeugen getäuscht. Ich habe jedoch noch nie eines gefunden, dass so entworfen wurde, um eine gealterte Form nachzubilden. Ich bin immer noch verwirrt. Da muss noch mehr sein.
„Welchen Typ Körper nutzen Sie?“
„Ich.. Ich weiß es nicht genau. Timmie sagte mir er sei Standard. Ein biomechanischer Rahmen, gebaut, um menschliches Leben perfekt nachzubilden. Das solltest Du besser wissen als ich. In meiner Zeit, würde ein I'mprint es selten bis zu 10 Jahre durchhalten, geschweige denn 30. Sich menschlich zu fühlen half mir bei Verstand zu bleiben.“ Meine Augen verengen sich, als ich eine Suche nach Aufzeichnungen zu Iris Oscen beginne. Keine Resultate kommen auf, bis zur Gründung der Republik zurückreichend.
„Kannst Du es endlich tun?“ Fragt Iris, bleiche, blaue Augen sind plötzlich scharf und konzentriert auf meine eigenen. „Ich dachte… Ich hoffte, dass Du es eine Überraschung machen würdest.“ Ihre Hand greift die meine fester. Ich fühle den Puls von irgendeiner Flüssigkeit in unregelmäßigen Intervallen durch das Fleisch pumpen.
Meine Hand weg reißend, gehe ich zwei Schritte zurück. Iris drückt ihren Stuhl zurück in eine Sitzposition und steht auf, sie erscheint viel stärker als sie es Momente zuvor tat. „Ich muss zuerst Ihre Geschichte wissen. Etwas macht keinen Sinn.“ Mein Kopf geht durch die Fakten, und ich versuche die Informationen zusammenzusetzen, während Iris mir zur Ecke des Raumes folgt. „Wer waren Sie bevor Sie ein I'mprint wurden?“
Ein Kichern entwischt Iris' Mund. „Sehr witzig, Legatus. Ich sehe vielleicht anders aus, aber Du hast diese schicken IIs. Ich bin DIE Iris Oscen. Wenn auch eine Kopie.“ Karmesinrote Hände greifen Iris bei den Schultern und halten sie auf Armlänge Abstand. Alles um diese blauen Augen abzuhalten, mehr zu sehen. Iris ist so dünn, dass ich fühlen kann wie Schulter, Arm und Schlüsselbein zusammen gegen meinen Widerstand pressen.
„Es gibt keine Iris Oscen!“ Der Druck gegen meine Hände verschwindet als Iris sich leicht dreht, um mich mit Missachtung anzustarren. Ich fahre fort, „Es gibt auch keine Aufzeichnungen zu einer Iris Park. I'mprints können nicht heiraten und Timea Park hat keine registrierten I'mprints.“
Ihr Blick ist spitz auf mich gerichtet und fordert mich heraus, Antworten zuliefern die ich nicht habe. Die stählernen Augen bewegen sich runter und richten sich auf meine Hüfte, sie blicken wieder hoch mit einem herausfordernden Neigen des Kopfes. Ich greife das Netjack, festgeschnallt an meinen Gürtel, mache es los und hebe es auf Augenhöhe. „Sie können es versuchen, wenn Sie möchten. Ich habe ein Gefühl, dass es nicht klappen wird. …sind Sie darauf gefasst?“ Der schwarze Zylinder wird mir sofort aus meiner Hand gerissen, Iris zögert nicht und drückt die rote Spitze an die Seite ihres Kopfes. Ein Gedanke von mir aktiviert es, ein deutliches Klicken ertönt vom Gerät.
...Stille. Dann, wirft Iris es zur Seite, dreht sich weg und schreitet in einen anderen Raum, alle vorherigen Anzeichen von Gebrechlichkeit fort.
„Es ist kaputt!“ Sie schreit, Geräusche von Objekten, die herumgeschleudert werden, füllen die Wohnung. Ich hole mir das Netjack zurück und befestigte es wieder an meinem Gürtel, dann folge ich in ein riesiges Schlafzimmer, üppig möbliert, wie ein teures Hotel. Iris wirft Kisten von Schuhen, Kerzen, Schmuck und Kleidern aus einem großen, begehbaren Kleiderschrank. Ich sehe mich im Raum um, ein Schränkchen fängt meinen Blick. Ich seufze in Frustration über Iris, und gehe stattdessen zu einem Hinweis.
Die bekannte Ansicht von Iris in ihrer Jugend ist überall darin zu finden. Am meisten steht sie auf einem großen Leinwandposter hervor, das die ganze Hinterseite des Schrankes einnimmt, Regale aus klarem Glass eingesetzt, um andere Gegenstände darauf zu stützen. In großen Buchstaben, füllt der Name Iris Oscen den unteren Teil des Posters und überall sonst sind Explosionen von blauen und gelben Designs mit Iris kraftvoll posierend in der Mitte des Bildes, hautenge Klamotten stellen ihren Körper so viel gut wie möglich zu Schau. Ich inspiziere die Objekte im Schrank und finde Sammelkarten, Replik Staturen, Chibi Figuren, maßgearbeitete Videospiel-Controller und Markenprodukte, alles mit dem selben Namen, Logo und Bild einer grinsenden Iris auf ihnen. Es ist ein Schrein, der sich der Fiktion widmet. Iris Oscen, scheinbar als eine Berühmtheit erinnert, obwohl deren Namen nirgendwo aufgezeichnet ist.
„Das ist nicht kaputt.“ Iris tauchte aus dem Kleiderschrank hervor, und präsentiert mir eine schwarze Box mit einem anderen Markennamen darauf, den ich nur zu gute kenne.
„Bürgern ist es nicht erlaubt sich zu bewaffnen mit-“
„Tu ich nicht. Ich bewaffne einen Legatus.“ Iris schiebt die Kiste in meine Richtung, klickt zwei Sicherungsschalter offen und enthüllt die Waffe darin. „Ich habe die Legion gerufen. Division 505. Machst Du jetzt deine Arbeit oder nicht?“ Ihre Stimme hat wieder einen ruhigen Ton, aber dort ist etwas Neues. Iris fordert mich nicht mehr dazu auf. Sie hat anscheinend die Punkte schneller verbunden als ich. Sie fleht, bettelt mich an, zu tun wozu ich gerufen wurde.
Kalte, graue IIs fokussieren sich auf den Namen auf der schwarzen Kiste. Ein alter Freund. Nostalgie aus einer lang verlorener Kindheit. Metallische Fingerspitzen streichen sanft gegen die Innenseite meiner Handfläche. Der Apfel ist irgendwann heruntergefallen, ohne dass ich es wahrgenommen hatte. Die Hände fühlen sich leer. Frei von irgendeiner Last. Schwerelos. Wartend.
Ich wurde wortwörtlich hierfür gebaut, sage ich mir, als ich die Waffe aus ihrem Behältnis nehme. Das kalte Gefühl von Metall fühlt sich natürlich an gegen meine gleich dichte Hand. Ich seufze, checke die Ladung der Waffe und stelle deren Leistung ein. Das sind alles geübte Handlungen, die sich tief in mein Nervensystem verwurzelt haben, bevor ich voll herangereift war. Ich hebe die Waffe, ziele den Schuss ab und ein HUD in meiner IIsicht stellt, wo genau der Aufprall passieren würde dar.
Iris denkt zu viel nach. Es ist ein Problem, womit wir alle uns irgendwann in unserem Leben mal befassen müssen. Eines wovon ich mich selbst geheilt habe.
Meine Hände sind standfest. Schwerelos in diesem Moment, als meine Cynetarme, neurales Netzwerk und IIs alle verbunden sind, um meine Pflicht auszuführen. Iris murmelt etwas in einem warmen Ton. Für mich ist es alles nur weißes Rauschen, unterbrochen von der Salve Energie, als ich den Abzug drücke. Ich fühle gar nichts, künstliche Nerven, die die Sensation ausblenden, Cynetarme, die bereits den Rückstoß abfedern und perfekt still bleiben, bereit für den nächsten Schuss. Er wird nicht benötigt.
Ich lasse die Waffe fallen und mache mich auf den Weg aus der Wohnung von Iris und Timea. Die Tür ist halboffen hinterlassen, Schaulustige versuchen ihr bestes um in die offene Wunde zu spähen, die der Legatus in ihr Gebäude geschnitzt hat. Dieses Mal bin ich wirklich unerschütterlich, daran erinnert wer ich bin und an das Gewicht, das sich niemals von meinen Schultern bewegen wird. Ihre schwerfälligen Blicke gleiten an mir ab, wie Flüssigkeit an einer gut geölten Maschine.
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Translator: Kai
Proofreader: Drawn
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