Kapitel 4 – Die Neon Götter, die wir erschufen
Trigger Warnung:
Suizid, Depression
Das Leben eines Legatus richtet sich normalerweise nicht nach einer festen Routine. In der Legion (der Militärpolizei der Republik) stehen Legati an zweiter Stelle, mit nur dem Praetor, der jede Division und jeden Bezirk übersieht, über ihnen. Der Praetor berichtet direkt zu dem Senat und erhält höchste Autorität im Umgang mit individuellen Fällen und Bedrohungen. Dies ist eine unglaubliche Menge an Druck und Verantwortung, die die meisten Leute, alle erfahrene Veteranen, nur für drei bis vier Jahre aushalten.
Praetor Chroma ist nicht wie die meisten Leute. Sie dient bereits seit 13 Jahren als Praetor, und begann als eine der Jüngsten, als sie das Amt in ihren 40ern annahm. Zu ihrer Amtszeit stand die Republik vielen neuen Gefahren von sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Grenzen, gegenüber. Insbesondere mit den aktuellen diplomatischen Spannungen zwischen anderen Megacities und Biodomes. Durch all dies, zeigte sie eine beruhigende und würdevolle Präsenz als das Gesicht und Gehirn der Legion.
Die Sonne ist gerade erst am Horizont aufgegangen, als ich kerzengerade in ihrem Büro sitze. Während sie schweigend aus dem Fenster starrt, steigt ein einziger Strahl von dunstigem Licht langsam ihr Gesicht hinab. Ihr korallen-rosa Haar, das sie in einem Bob-artigen Style trägt, schwankt sanft in einer leichten Brise, die in Wirklichkeit nicht existiert. Derselbe hypnotische Rhythmus wird von ihren schwarzen und goldenen Roben eingefangen, die eng an ihrem Körper festgehalten anliegen. Sobald das Licht ihre Augen erreicht, wird der Lichtstrahl erstickt und ein künstlicher Bildschirm erscheint anstelle des Fensters, der einen wunderschönen Morgen, ungetrübt von Staub und Verschmutzung, zeigt. Sie dreht sich um und findet mich, sie direkt anstarrend, vor. Ihre schwarzen Augen, tief wie der Nachthimmel, verschlingen mich. Jeder Teil ihres Körpers hat denselben rhythmischen Pulse und Shimmer eines Duoverse Avatars, außer diesen abyssalen Augen.
„Du bist bereits mit dem Bericht fertig?“ fragt sie, daran gewöhnt, dass Menschen in ihrer Anwesenheit erstarren.
„Schon seit einer Weile. Ich wollte Sie nicht von der Sonne reißen.“ antworte ich.
Das Leben eines Legatus richtet sich normalerweise nicht nach einer festen Routine. Den einzigen festen Zeitplan, den ich habe, ist sicherzustellen, dass meine Pflanzen vor Sonnenaufgang sicher in ihrer Dunkelkammer sind, sollte ich sie rausgestellt haben. Ansonsten darf ich mit meiner Arbeit beginnen und aufhören, wann ich will, manchmal dauern Untersuchungen auch wochenlang. Für Praetor Chroma andererseits, beginnt der Tag immer zur selben Zeit. Zehn Sekunden von natürlichem Sonnenlicht, bevor sich die Filter einschalten, um ihre Sicht zu schützen.
Sie lächelt für eine Sekunde, bevor sie eine Brille von ihrem Tisch nimmt und aufsetzt. Jetzt sieht sie die Welt wie jeder andere von uns, der Pulse und Shimmer der Republik erwacht überall um sie herum zum Leben. Ich lehne mich leicht zurück, getrennt von den fesselnden Tiefen durch den dünnen Film einer wässrigen Linse.
„Ich verstehe nicht, warum Sie mir diese Mission geben, Praetor. Ein mehr erfahrener Legatus würde sicherlich begeisterter die Gelegenheit ergreifen Valdie zu dienen?“
„Valdie“, echter Name Archibald Jimmy, war ein unglaublich erfolgreicher Stand-up Komiker, mit dem alle Mitglieder der Republik aufgewachsen sind. Obwohl er seine Karriere vor etwa 40 Jahren begann, hatte Valdie es geschafft, die ganze Zeit der Fan Favorit zu bleiben. Nach einem kurzen Hiatus wegen Alkoholmissbrauchs nach dem ersten Jahrzehnt, kehrte er stärker als je zuvor zurück, und brachte tägliche Kurzform-Inhalte und eine wöchentliche Show, die Nachrichten beleuchtete und sich dabei in seine eigene Art von schnelllebigem Humor verwandelte. Er war irrsinnig reich und bekannt dafür, großzügig zu allen um ihn herum zu sein, oft verwöhnte er zufällige Leute, die er verkleidet in der Öffentlichkeit traf. Legati ist es gesetzlich verboten, Bestechungsgelder während der Arbeit anzunehmen, aber es gibt keine Regelung gegen den Empfang von Geschenken nach Abschluss der Untersuchungen, weshalb es bekannt ist, dass die reichste Kundschaft von älteren Mitarbeitern angesprungen und priorisiert wird.
„Du bist der einzige Legatus, dem ich diesen Fall anvertrauen kann.“ sagt Praetor Chroma so sachlich, dass es mich verblüfft.
„Ich möchte mich nicht aufzwi-„
„Spar Dir die Höflichkeiten“, sagt sie, ihr Ausdruck unverändert – den Hauch eines Lächelns. „Ich mache Dir kein Geschenk, ich wähle lediglich den besten Mann für den Fall.“
„Jawohl, Praetor.“ Das ist anders als ihre Anrufe und Nachrichten. Keine Heiterkeit und Humor der Vergangenheit.
„Du hast die Akte gelesen. Dann lass mich Dir nun die zusätzlichen Details geben. Die Schnitzeljagd, zu der das I’mprint die Fans angeleitet hat – in dem zweiten Hinweis buchstabiert Jimmys P&S eine Nachricht in Morse Code.“
Meine Augen weitern sich in Schock bei der Offenbarung.
„-Und das ist es. Wie ich bereits sagte, Du bist der einzige Legatus für diesen Fall. Halte eine gründliche Untersuchung“, befiehlt sie. Ich nicke in Einverständnis, meine Augen sind nicht fokussiert, während mein Verstand noch immer die Worte des Praetors verarbeitet. Als ich endlich ihren Blick erwidere, hat sie die Brille abgenommen und ist nun diejenige, die mich meinen Moment in Stille genießen lässt. Sie hat noch immer das sanfte Lächeln auf ihren Lippen, doch ihre Augen haben nun einen leichten Funken in ihnen. Sternenlicht in einem leeren Sternennebel. Ich stehe auf und salutiere ihr, viel zu spät realisierend, dass die Konversation bereits zu Ende ist. Ich hatte meine Mission und ich war der beste Mann dafür.
Ich erwähnte den Pulse und Shimmer des Duoverses bereits. Wenn AR erstmals ein allgemein gebräuchlicher Teil im Leben der Republik wurde, war die Technologie immer noch nicht perfekt. Es funktionierte indem ein digitales Umfeld erstellt wurde, das sich über die Realität projizierte. Zuerst wurde es nur benutzt, um die Welt attraktiver aussehen zu lassen. Die stark verschmutzte Luft, gefärbt in Orange und Braun, kehrte zu ihrem ursprünglichen klaren Aussehen zurück. Zum ersten Mal seit Generationen konnten die Benutzer die Sonne im Himmel sehen, da sie in Echtzeit von Satelliten verfolgt wurde.
Schnell erkannten die Firmen die Beliebtheit der Technologie und investierten in sie, indem sie Werbungen erstellten und ihre eigenen Firmengebäude anpassten, um die Massen an Leuten, die das Duoverse die ganze Zeit sahen, anzulocken. Die AR benötigte einen Haufen an Kapazität zur Datenübermittlung und Computer Leistung, um zu funktionieren, deshalb war es nicht komplett live. Stattdessen würde es sich etwa alle zwei Sekunden aktualisieren, was einen leichten Bloom-Effekt kreierte, wie bei einem alten Röhren-Bildschirm, beim Anschalten.
Mit der Technologie, entwickelten sich auch ihre Anwendungen weiter. Die schneeweißen Blöcke, – angemalt mit einer dicken Schicht von Farbe, so weiß, dass sie die schädlichen Strahlen der Sonne fast komplett reflektieren – die die Megacity ausmachen, wurden zu einem abwechslungsreichen Stadtbild von Türmen, jeder mit einem einzigartigen Style. Manche entschieden sich mit architektonischen Designs der Vergangenheit herauszustechen – Schlösser und Pagoden beeinflussten das Aussehen. Andere entschieden sich für einen mehr unternehmerischen Ansatz, und wurden im Wesentlichen zu einer Werbefläche für den Höchstbietenden oder sich selbst. Es dauerte nicht lang bis die Technologie es jedem Individuum erlaubte, sein eigenes Aussehen mit einem Avatar, der sie im Duoverse ersetzte, anzupassen.
Das Duoverse ist die Welt, die in der heutigen Zeit von den meisten Bürgern der Republik durchgehend angesehen wird. Ob mit Headsets, Brillen, Linsen, oder den II Implantaten, die die menschlichen Augen ersetzen, es ist schwer geworden in der Republik zu leben, ohne dieselbe Realität wie jeder andere zu erleben. Implantate und Peripheriegeräte sind bereits so weit fortgeschritten, dass selbst Gehör, Geruchs- und Geschmackssinn getäuscht werden können, was nur noch den Tastsinn übrig lässt, um sich gegenseitig an die Realität zu erinnern, die sich unter der virtuellen Maske versteckt. Es gab Versuche den Tastsinn auch einzuprogrammieren, lieber Zuhörer. Die Experimente… verliefen nicht so gut, selbst an Versuchstieren. Als dann versucht wurde zu menschlichen „Freiwilligen“ fortzuschreiten, konnten selbst die mächtigsten Marketingfirmen die Gegenreaktion nicht abschrecken.
Während die Server und Technologie sich zusammen mit den Anwendungen weiterentwickelten, hatten die Menschen sich an den Pulse und Shimmer gewöhnt, mit dem sie begannen. Viele finden die Realität ohne ihn fad und langweilig, und verbannen Menschen ohne Duoverse Avatar und meiden die Stadtrande der Republik, die dazu neigen, zu arm zu sein, um sich maßgeschneiderte Visuals für ihre Gebäude zu leisten.
Ich habe einen sehr umständlichen Weg genommen, um es zu sagen, aber Tatsache ist, dass der Pulse und Shimmer des Duoverse eine grundlegende Eigenschaft ist und eigentlich in seinem Timing und Style behoben werden sollte. Es gibt Gerüchte im Netz, dass ein Virus umherginge, der dafür sorge, dass ein Benutzer immer Pulse und Shimmer sehe, ob im Duoverse oder nicht. Die Firma, die die Technologie betreibt (Mirari Industries), versichert, dass es unmöglich ist, den P&S in irgendeiner Weise zu bearbeiten, die meisten Benutzer fürchten sich jedoch sowieso nicht vor dem Virus. Solange man das Geld hat, um die Abonnementgebühren zu bezahlen, sieht man im Prinzip sowieso nichts ohne den Pulse und Shimmer. Ich hatte die Spuren selbst verfolgt, kurz nachdem ich den Rang des Legatus erhielt und erntete nur den Spott meiner Mitarbeiter die, wie die Öffentlichkeit, sich nicht darum kümmern, ob es echt oder künstlich ist.
Ich bin kein Geschichtsliebender LARPer, lieber Zuhörer. Während ich vielleicht mal einen Renaissance-Jahrmarkt besuche oder mich manchmal über neue Technologien beschwere – Ich bin letztendlich ein Boomer meiner eigenen Zeit – Sehne ich mich nicht nach einer einfacheren Zeit zurück, wie eine kleine Minderheit der Republik. Ich persönlich hasse diesen Bullshit den man in Geschichten, die von Realitätsverbiegung handeln, zu sehen bekommt und würde es lieber vermeiden, dass das meine… Realität wird? Fragezeichen.
Streite es nicht ab, Du weißt genau welche ich meine: Der Kreisel dreht sich weiterhin, die Augen des Detektives leuchten synthetisch, was wenn die Matrix tatsächlich eine andere falsche Realität ist? Ich weigere mich ein Klischee zu werden. Ich sehe Realität wie sie ist, weigere mich vor den hässlichen Teilen zurückzuschrecken, während ich das Geschenk der Unwissenheit annehme, das die Lügen bieten. Zur Hölle, ich habe sogar meine eigenen IIs gehackt, um zwischen dem echten Universum, das Praetor Chroma sieht, dem Duoverse, das die meisten Bürger sehen, und der stark aufgeblähten kostenlosen Version, die dich durchgehend mit Werbung von sexy I’mprints, die man für einen sehr niedrigen Preis, die alles tun würden, mieten kann, zuspammt, zu wechseln.
Und ich bin schon wieder viel zu weit abgeschweift. Vergib mir.
***************
Zu diesem Zeitpunkt bin ich in meinem Auto und auf dem Weg zu Valdies Penthouse im Zentrum der Stadt. Die Datei, die mir gegeben wurde, informiert mich, dass mein geliebter Kindheits-Komiker ein Geheimnis hat. Er hat seit über 20 Jahren keinen seiner Witze selbst geschrieben… oder, je nachdem wie man es betrachtet, Er von vor 30 Jahren schreibt immer noch seine derzeitigen Witze.
„So… Ihr uraltes I’mprint war es, das Ihr Material die letzten 3 Dekaden geschrieben hat“, bestätige ich verlegen von dem Mann selbst.
„Warum mit Perfektion anlegen“, fragt Valdie, entspannt.
Seine Stimme ist selbstsicher, gefüllt mit Arroganz und vielleicht einem Hauch von Herausforderung? Sein Duo (Duoverse Avatar) hat sich seit meiner Geburt nicht geändert. Leuchtend grünes Haar, in einen langen Mohawk gestylt und übertriebenes Makeup, wie das eines Clowns. Helle weiße Haut, karmesinrote Lippen, nur noch die große rote Nase fehlt. Er trägt einen kräftig violetten Anzug über einem silbernen Hemd, das nur zur Hälfte zugeknöpft ist. Das Bild ist beeindruckend – legendär.
Ich erstarre für einen Moment in seinem neongrünen Blick.
Solange ich gelebt habe, war Valdie die Stimme unserer Generation. Er wusste wie man Nachrichten auflöste, auf einer Art und Weise, die einen die Informationen aufsaugen ließ und dabei auch über die dunklen und intensiveren Momente lachte. Es ist mir nicht peinlich zu gestehen, dass ich viel über die Republik zuerst von ihm höre, da ich mich nicht genug kümmere, um Nachrichtenseiten zu durchforsten oder mich mit Social Media selbst zu geißeln. Zum zweiten Mal an diesem Tag starre ich einfach in Stille zurück, nicht wissend was ich sagen sollte. Ich werde das nicht zur Gewohnheit werden lassen, keine Sorge. Ich liebe es zu sehr meine geistreichen Bemerkungen zu hören.
Zum Glück habe ich neulich erst einen Trick für den Umgang mit solchen Situationen gelernt. Falls dir je jemand gesagt hat, dir dein Publikum in Unterwäsche vorzustellen, ist das recht ähnlich. Ich blinzele zweimal und die pulsierende Sicht vor mir trübt, und wird stattdessen von einer kahlen, übergewichtigen Kartoffel, die komplett nackt war, ersetzt. Dies ist unethisch, hinterhältig, eine Verletzung der Privatsphäre nach den Standards der Bürger der Republik und trotzdem überhaupt nicht illegal, da Mirari immer noch keinen Weg gefunden hat, das Nichtansehen des Duoverse illegal zu machen… noch nicht. Sie müssten freie IIs vergeben oder zuerst Armut illegal machen und sie arbeiten immer noch an letzteren.
Das Ansehen der echten Versionen von den Bürgern der Republik offenbart mehr als jeder Background-Check. Die Nacktheit war unerwartet, das muss ich gestehen, aber nichts von dem ich nicht schon gehört hätte, insbesondere da ich gerade in seinem Wohnzimmer bin. Die ärmeren Bürger müssen Ganzkörperanzüge tragen, um sich von der Umwelt zu schützen. Die Mittelschicht hatte in der Regel Behandlungen, um sich selbst zu schützen und ersetzen ihre Haut oder gar Gliedmaßen, sollte ein Problem auftreten. Die unglaublich Reichen tendierten allerdings dazu, fast vollständige Cyborgs zu werden. Komplette Gliedmaßen werden meistens ersetzt, manchmal auch ein Großteil des Körpers, doch mit Leuten die so reich sind wie Valdie, ist es schwer zu erraten wie viel, da Silikon- und Polymergewebe fast identisch zu echtem war. Es ist jedoch selten einen Bürger der Republik zu finden, der sich so sehr um sein Aussehen kümmert. Selbst die falsche Haut über den Cybernetics ist normalerweise nur dazu da, dass es sich bei Kontakt mit einem anderen Duoverse Nutzern echt anfühlt.
Der Mann, der vor mir sitzt, war nun unglaublich reich, und hatte sich das selbst erarbeitet. Es sieht so aus, als würde das Aufwachsen mit deinem eigenen Fleisch und Blut, dich dazu bringen, es mehr zu schätzen. Etwas, worüber ich mir keine Sorgen machen muss, wenn auch nicht dadurch, dass ich mit einem kybernetischen Löffel in meinem Mund geboren worden sei.
Da ist die rote Nase! Seine Haut ist ein Flickwerk aus kirschfarbenen Strahlungsverbrennungen und pastetenrosanen Hauttransplantaten. Das wenige Haar, das er hat, ist grau, und seine leuchtend grünen Augen sind stattdessen die langweiligen grauen IIs, die die meisten von uns haben. Die Hälfte seines Gesichtes ist schlaff im Vergleich zu der anderen, ein klares Zeichen eines vergangenen Schlaganfalls. Archibald Jimmy war nur ein Mann wie jeder andere. Ein Mann, der nicht glauben kann, dass ein so junger Legatus es sich traut, seinen Blick so sicher zu erwidern.
Der Bann ist gebrochen. Das ist nicht mehr der überlebensgroße Valdie, der jedes Ziel weise knackt und Mensch und Katastrophe gleichermaßen auf eine Pointe reduziert. Es ist nur ein Mann, so wie ich, der meine Hilfe braucht, es jedoch nicht zugeben will. Ich blinzle noch zweimal und den Komiker schief an, und weigere mich, vor dem pulsierenden Glanz zurückzuweichen.
Valdie versteht diese Pause sichtlich falsch, da er den Augenkontakt zuerst bricht und an einen Punkt an der Wand zu meiner Seite starrt als er weiterspricht.
„Zurzeit sehe ich mich selbst als einen Schauspieler, Kind. Wer hat schon die Zeit um tatsächlich mit dem News-Zyklus auf dem Laufenden zu bleiben? Was ist das Problem, wenn ich meine eigenen I’mprints benutze, um mit ein paar Sachen aktuell zu bleiben?“
„Es gibt kein Problem“, stimme ich zu. „Es bist wortwörtlich du, der deine eigenen Witze schreibt. Die meisten berühmten Persönlichkeiten haben ein Team von Schriftstellern und Publizisten sowie Social Media Manager und Agenten. Dass du nur deine eigenen I’mprints für 30 Jahre benutzt hast, ist, offen gesagt, unglaublich.“ Ich lange nach vorne und greife das kleine Glas Wasser, das mir am Anfang des Treffens gegeben wurde, und trinke einen kleinen Schluck.
Bitter, Salzig. Ich erstarre mal wieder in Gedanken, in Anbetracht der Flüssigkeit, die ich gerade getrunken hatte. Es hatte ein Gewicht und einen Geschmack, den ich nur ein, zwei Mal zuvor in meinem Leben erlebt habe. Mineralwasser. Nicht das Elektrolyt-ausgeglichene Getränk, das Sportlern zur Hydration angeboten wird, oder das pure H2O, das in unseren Leitungen läuft, sondern echtes organisches Mineralwasser, das von einem tief unter der Erde liegenden Vene gewonnen sein musste, unberührt von menschlicher Verseuchung. Bei Valdie liegt es einfach herum.
„Unglaublich.“
„Es ist nicht so besonders“, bestärkt der Mann zu mir. „Es sind tatsächlich 3 I’mprints. Eins für die Nachrichten Show, eins für die Arbeit an Specials und eins nur für Social Media Interaktion.“ Schon wieder hatten wir eine Fehlkommunikation. Seine Augen sind wieder auf mich gerichtet, allerdings ist nun eine Wärme in ihnen, statt dem Frost. „Der schwierige Teil ist es, jedes davon abzuhalten über die anderen herauszufinden.“
„Warum das?“ frage ich.
„Sie funktionieren einfach länger. Früher habe ich sie immer über die Existenz der anderen wissen lassen, aber sie mussten dann immer nach etwa einem Monat neu gebooted werden. Wenn sie denken, dass ich alles außer ihrer Arbeit mache, funktionieren sie für ungefähr ein Jahr. Naja, nicht das für Social Media. Das hält höchstens 2 Monate, aber was will man machen?“ er sagt all das, mit einem lässigen Schulterzucken, zu dem ich als Antwort einfach nicke.
I’mprints ohne jegliche Art von physischem Körper haben immer eine recht kurze Lebensdauer. Mit einer physischen Form zum Interagieren mit der Welt, ist es einfacher sich ans Leben als I’mprint zu gewöhnen, weshalb manche Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, überleben können. Ihnen wird nicht die Autonomie oder die Rechte eines Menschen zugesagt, aber sie können zumindest als Maschinen oder Haustiere in der Welt funktionieren, so menschlich und organisch, wie ihre Besitzer es erlauben. Valdie hat genug Geld mit dem er leicht ein ganzes Regiment von I’mprints in Andriod-Körpern haben könnte, die echt aussehen und sich sogar echt anfühlen, falls er sich dafür entscheiden würde.
I’mprints von anderen Menschen können nur lizensiert anstatt gekauft werden. Die originale Person, von der das I’mprint die Kopie ist, erhält einen monatlichen Gehaltscheck von Eidolon (Der Firma hinter den I’mprints) basierend auf der Anzahl der Leute, die gerade deren I’mprint lizensieren. Prominente haben dies besonders gut gemacht, indem sie ihre I'mprints lizenziert haben, um stündlich 1 zu 1 Interaktionen durchzuführen, eine Beziehungserfahrung dem Klienten zu bieten oder natürlich die unzähligen Unterhaltungsangebote für Erwachsene, die teure Hardware benötigt.
Kam es jedoch zu denen, die nur Code sind, werden Dinge unberechenbarer. I’mprinting Technologie erlaubt es I’mprints, menschliche Komforterfahrungen wie Schlafen, Essen und das Empfinden einen Körper zu haben, zu fühlen, aber sie schaffen es nie ganz. Alle digitalen I’mprints zeigen allmählich Anzeichen von Beschädigungen. Eidolon versucht diese Limitation seit Beginn der Technologie zu überwinden, doch bisher kein Erfolg. I’mprints fangen an Dinge zu hinterfragen, zu denen es keine Antworten gibt, und mit ihrer eigenen Existenz frustriert zu sein. Ein nihilistisches, aufgewühltes Computerprogramm ist das Letzte, für das Jemand bezahlen will, aber zum Glück der Benutzer, gibt es eine einfache Lösung.
Schaltn Sie es aus und wieder ein. Die Methode, so alt wie technische Kundenbetreuung.
Ein I’mprint neu zu starten ist ein todsicherer Weg, um es auf Werkseinstellungen zurückzusetzen. Das einzige Problem ist, dass man dann mit ihren Erinnerungen ebenfalls bei Null anfangen muss. Dein I’mprint Freund erkennt dich nicht mehr. Die Nanny, die du so gut erzogen hattest, kann sich nicht mehr erinnern, wie du deinen Haushalt geführt magst. Deine Kopie von vor 3 Jahrzehnten, muss an Witze, die du bereits gemacht hast, aufgeholt werden, um sicherzugehen, dass du nicht immer wieder dieselben wiederholst. Sie setzen sich zu den selben Erinnerungen zurück, die sie hatten, als das I’mprint zuerst erstellt wurde.
„Kriegt das für Social Media keinen Schlaf oder so?“ frage ich. Laut der Datei hatte keines der I’mprints irgendeine Art von physischem Körper, weshalb es recht seltsam ist, dass eines so anders als die anderen ist.
„Keines von ihnen schläft, zumindest nicht wirklich“, beantwortet Valdie. „Ich zahle extra, damit sie sich so fühlen als ob sie sich ausruhen, damit sie produktiv zu halten, wobei es augenblicklich passiert.“
„Verdammt“, ich pfeife fast, anstatt zu antworten. Selbst als Legatus, der sich auf Vorfälle, die I’mprints und das Duoverse involvieren, fokussiert, ist das etwas Neues für mich. Ich habe von I’mprints gehört, die beschleunigt werden um mehr Arbeit in kürzerer Zeit erledigen zu können, aber ihr Schlafmuster auf kürzeste Zeit zu beschleunigen, ist bahnbrechend. Jemand in meiner Steuerklasse würde diese Art von Technologie natürlich jahrelang nicht zu Augen bekommen. Nicht dass ich irgendwelche I’mprints hätte. Pflanzen und Alkohol sind mehr als genug Gesellschaft für mich. „Was denken Sie sorgt dann dafür, dass das für Social Media so schnell kaputt geht?“ frage ich.
Ich erhalte ein trockenes Lachen als Antwort, überhaupt nicht wie sein übliches Gackern während seinen Shows. „Warst Du noch nie auf Social Media? Mein Kopf würde in unter einer Woche platsch machen!“ Jedes seiner Worte wird von übertriebener Mimik und Handgestik unterbrochen, um zu demonstrieren, wie sein Kopf „platsch macht“.
Tatsächlich habe ich seit Jahren keinen eigenen Social Media Account mehr gehabt. Weder genug Zeit, noch Toleranz für Andere verblieb in mir, um einen aufrecht zu erhalten. Obwohl die Republik nur eine Bewohnerzahl von 16 Millionen hat, ist die überwiegende Mehrheit, fast durchgängig in einer von den Social Media Plattformen aktiv. Eine Flut von Bildern und Videos, die jede Minute des Tages des Bürgers detailliert beschreiben, wird ständig hochgeladen. Trotz dieser Brot und Zirkusspiele, versuchen alle lauter als die anderen zu schreien, um zu bestätigen, dass ihre Sichtweise die richtige ist, und zu zeigen, wie intelligent, freundlich und von Welt sie sind. Nicht allzu unterschiedlich von deiner heutigen Social Media, aber mit weniger niedlichen Tieren.
„-Und nur um sicherzugehen, Mr. Jimmy, die I’mprints arbeiten zusammen, obwohl Sie sie zur selben Zeit neustarten?“
„Right-o! -Du kannst mich übrigens Valdie nennen. Es begann auf Social Media, weshalb wir das früher neustarteten, aber dann war es der Witz in meiner wöchentlichen Show, der einen Hinweis auf Literatur oder was auch immer hatte, und wir starteten das auch neu. Dann war es der Pulse und Shimmer Code, also wir starteten alle 3 neu, weil wir dachten, sie müssten irgendwie miteinander kommunizieren, und jetzt wurden Webseiten eingerichtet und Nachrichten in Bildern versteckt, Referenzen in der Stand-up -es macht keinen Sinn!“ Auf dem Weg zu Valdies Apartment hatte ich den Bericht sorgfältig gelesen und es sieht so aus, als würde ich den Fall besser verstehen als der Mann selbst.
„Hat jemand anderes zufällig den Report geschrieben?“ frage ich bevor ich noch einen Schluck Wasser nehme.
„Meine Assistentin. Katherine. Sie ist scharf wie ein Messer, in Intellekt und Kritik.“ Ich kann hören, wie sich sein Ego zusammen mit dem Ton seiner Stimme mitten im Satz entleert. „Ich könnte sie herholen, falls Du willst?“
„Danke, das wäre-„
„Katherine, Doll!“ Valdie trifft bereits Vorkehrungen, und hat offensichtlich den Anruf getätigt, sobald der Gedanke laut ausgesprochen wurde. Seine dröhnende Stimme füllt den Raum, und erlaubt es mir leise zu seufzen ohne unverschämt zu wirken. Seine Kindheitslegende zu treffen ist viel weniger spaßig als man denkt. Triff niemals deinen Helden… und lass ihn niemals nackt vor dir stehen. Es wird nicht gut für jegliche Beteiligten.
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Gerade als er fertig mit seinem Anruf ist, entschuldigt sich unser Gastgeber, und garantiert mir, er hätte sehr wichtige Arbeit zu erledigen. Im Duoverse verschwindet er wörtlich, indem er eine Art von Privatsphäremodus benutzt, das ihm erlaubt in seinem Eigentum unsichtbar zu werden. Ich blinzele zweimal, sehe ihm hinterher, um sicherzustellen, dass er auch wirklich den Raum verlassen hat. Die Tür, die sich öffnet, als er geht, zeigt ein üppiges Bett mit ungemachten Laken und sonst nichts, bevor sie sich hinter ihm schließt. Wichtige Arbeit, in der Tat. Katherine Bea trifft mich in unter 10 Minuten in Valdies Apartment.
Dieser neue Klient ist, bei weitem, zugänglicher als der Letzte. Langes schwarzes Haar, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, einen einfachen blauen Anzug mit einem dazu passenden Bleistiftrock und einer weißen Bluse. Das einzige herausstechende Merkmal von ihr, sind die leuchtend grünen Augen, die fast zu Valdies passen. Ich strecke die Hand aus, um ihre zu schütteln und spüre ihren Griff, fest, aber weich. Das Gefühl von Reichtum. Sie hat Cynet Arme, wie ich, aber ihre sind versteckt unter falschem Gewebe, um ihnen das Gefühl eines menschlichen Körpers zu geben. Es ist nur dank den fortschrittlichen Sensoren in meinen Fingerspitzen, dass ich die mechanischen Bewegungen fühlen kann. Ansonsten wirkt sie vollkommen menschlich für jeden externen Betrachter.
Sie jedoch, spürt den kalten metallischen Griff meines Händedruckes und zuckt nicht mit der Wimper. Ihr Blick trifft meinen mit gleich viel kühlem Selbstvertrauen, oder vielleicht Gleichgültigkeit. Mein eigener Duotar unterscheidet sich kaum von der Realität. Was man sieht, ist was man bekommt. Ich habe keinen Grund meine beiden Cynet Arme zu verstecken, tatsächlich sind sie eine gute Warnung für potenzielle Verbrecher, dass ich nicht jemand bin, der einfach zu schlagen ist. Genauso unwichtig ist es mir, mein Implantat an der Kehle oder die langweilig grauen IIs, für deren Anpassungen ich mich weigere extra zu zahlen, zu verstecken. Der einzige große Unterschied zwischen meinem Uni und Duotar ist, dass ich mich nicht darum kümmern muss, wie meine bleiche Haut bei der kleinsten Anstrengung rot wird, wie mein Haar immer in nassen Klumpen endet, die zu viel von meiner Kopfhaut zeigen, und dass meine Jacke immer zerknittert ist und zu diesem Zeitpunkt, von der jahrelangen groben Verwendung, leicht verblasst ist. Der Pulse und Shimmer hebt auch das Rot gegen das Schwarz, was meine gesamte Ästhetik ausmacht, hervor.
Warte… Der Pulse und Shimmer.
Mit einem Blinzeln sehe ich meinen Arm vor mir lebendig werden und die Realität verschiebt sich ein wenig. Katherine Bea sieht vertraut aus, jedoch nicht ganz. Ihr Haar ist rotbraun, immer noch als Pferdeschwanz gebunden, mit perfektem Pony, der ihre Gesichtszüge umrahmt. Ihre Haut ist so bleich wie Valdies und steht im Kontrast mit ihren kühnen mandelfarbigen Augen und kirschroten Lippen. Diese neongrünen Augen starren zurück, als sich eine Augenbraue herausfordernd wölbt. Sofort löse ich den Griff und bringe meine Hand zurück auf meinen Schoß. Die Frau, mehrere Jahre jünger als ich, lächelt verspielt als sie auf dem Sofa platznimmt, und ein Bein über dem anderen verschränkt.
Sie denkt ich bin beeindruckt von ihrer Schönheit. Fast, aber nicht ganz richtig. Beeindruckt von meiner eigenen Dummheit wäre treffender. Ich war noch nie in einem Raum, in dem alles in der Realität und im Duoverse genau gleich ist. Zusammenpassende Designer-Sofas und -Sessel, ein Tisch aus Marmor in der Mitte, Wände, makellos von Altersanzeichen oder Schaden, beschnitten mit schwarzen und goldenen Fliesen. Valdie hat ein Vermögen für Möbeln ausgegeben, die fast niemand je sehen wird.
Und dann gibt es noch Ms. Bea selbst. Bei den meisten Leuten geht das Geld in erster Linie in ihren Duotar. Das ist einer der Gründe, warum es in der Republik als Verletzung der Privatsphäre angesehen wird, jemandes Uni ohne deren Erlaubnis anzusehen, und einer von vielen, dass diejenigen von Stadtrand, die das Duoverse nicht sehen, gemieden und geächtet werden. Ms. Bea muss ein Vermögen in Operationen und Erhaltung ihres Unis gesteckt haben, und sogar, für die meiste Zeit ihres Lebens, die Sonne vermieden haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie seit ihrer Geburt nie ungefilterte Luft geatmet hat. Obwohl sie so früh am Morgen hierher gerufen wurde, ist sie in kürzester Zeit hier angekommen und sieht so vorzeigbar aus. Außerdem unterscheidet sich ihr Duotar auch gar nicht so sehr von ihrem Uni. Dies ist eine Frau, die wohlhabend über allem, was ich je gesehen habe, ist, und doch seltsam bodenständig.
„Ms. Bea, es ist mir eine-“
„Katherine ist in Ordnung“, schneidet sie mich sofort ab. Ihre Stimme neckend, auf einer jugendlicheren Weise, als ihr Aussehen vermuten lässt.
„… Katherine. Es ist mir eine Freude Sie kennenzulernen. Die Unterlagen gaben mir einen generellen Überblick zu diesem Fall, könnte ich Ihnen allerdings mehr Fragen stellen? Valdie scheint zu denken, dass Sie am besten Bescheid wissen.“ Ein Flackern von etwas, dort im Grünen. War es Stolz?
„Ich hoffe doch. Leider kümmere ich mich um alle Narren. Nennen Sie mich den Narrenflüsterer.“ Sie zuckt mit den Schultern, auf dieselbe übertriebene Art wie ihr Chef, wartet auf eine Reaktion, die nicht kommt, und fährt fort: „Ich meine die I’mprints… Sie können sehr anstrengend sein. Was würden Sie gerne wissen?“
„Dieses ARG begann mit einem Post auf den Socials? Was genau war es?
„Ein Segen! Es ist Jahre her, seit Valdie viral gegangen ist! Was erwartet man auch mit 30 Jahren von demselben Material? Dann tauchte das Bild auf und die Republik wurde verrückt! Die Zuschauerzahlen und das Engagement stiegen über alles hinaus!“ Katherine beugt sich vor, wirft dann ihre Arme in die Luft und hält schließlich einen Finger triumphierend vor ihr Gesicht. Ihre Persönlichkeit ist so anders als ihr Aussehen, dass es mich verstört.
„Ein Bild also“, versichere ich. „Es war nur ein Selfie von Valdie, richtig?“
Ihre angemalten Lippen zucken leicht, aber das Lächeln verschwindet nicht. „Yuppers, es war der große Mann. Er hatte einen Cheeseburger in seiner Hand, von dem Blut tropfte. Die Überschrift lautete ‚Zeit für neues Blut‘. Es war recht seltsam, aber bekam erst richtige Aufmerksamkeit, nachdem die Nachricht gefunden wurde.“ Katherines Augen leuchten praktisch, als sie auf meine Antwort wartet.
„Und was war die Nachricht?“
„Da war eine Uhr an der Wand hinter ihm. Analog“, fährt sie fort, nachdem sie die Beteiligung des Publikums eingeholt hat, die sie so eindeutig braucht. „Recht seltsam, nicht wahr? Sie stand heraus wie eine rote Nase! Niemand benutzt eine Antiquität wie diese mehr!“
Stimmt schon, notiere ich. Das gesamte Internet ist nur eine Augen- oder Handbewegung entfernt. Uhren werden in der Republik nie benötigt und sind nicht so angesagt, wie einige andere Antiquitäten. Die meisten Leute bekommen sie am ehesten auf Duotaren mit Steampunk-Thema zu sehen.
„Jedenfalls, die Zeit auf der Uhr war 2:18. Ein Kommentar wies darauf hin, dass im Buch der Märtyrer, Kapitel 2 Vers 18 steht dass: ‚Diese, die zuvor kamen, mögen gesündigt haben, aber lasst uns nicht ihre Fehler wiederholen oder verschwenden, was sie zur Verfügung stellen.“ Sie zitiert den Text in einer monotonen Stimme, die die der Prediger, die so einfach auf der Straße ignoriert werden, verspottet. Um das Ganze abzurunden, ahmt Katherine ein lautes Schnarchen vor, bei dem ich ein Schmunzeln nicht unterdrücken kann. „Es lacht!“ sie stürzt sich sofort auf den Impuls. „Ich hatte angefangen zu denken, die Legion hätte Drohnen als Legati!“
„Du bist mehr als nur Valdies Assistentin, nicht wahr?“ frage ich, immer noch leicht lächelnd. Katherine setzt sich in ihren Stuhl zurück. Ihre Arme verschränken vor ihrem Bauch, als sie in Stille wartet. Ihr Redestil, die Art und Weise wie sie sich bewegt, das Fehlen jeglicher Besorgnis bei der Besprechung ernster Angelegenheiten, es ist alles so vertraut. „Du hast all seine Eigenheiten gelernt. Du musst ein großer Fan sein.“
Katherines selbstsichere Pose hält sich still wie Eis. Selbst diese Pose ist genau die selbe wie Valdies, damals, als er mit Comedy anfing. Es war vor meiner Zeit, aber als ich ein Kind war, hatte meine ganze Familie Aufnahmen von seiner Stand-up als Zeitvertreib angesehen. Nichts live, aber es war etwas. Damals hatte er sich viel mehr bewegt und seinen ganzen Körper in seiner Darbietung genutzt. Heutzutage hat er immer noch die übertriebenen Bewegungen, allerdings limitiert auf sein Gesicht und Hände, und er macht nie seine eigenen Geräuscheffekte.
„Ist das nicht jeder?“ fragt sie ruhig. „Er war immer voller Lebensfreude. Es war ein wahrgewordener Traum, als ich diesen Job vor 4 Jahren bekam. Ich war erst ein paar Monaten aus der Legion.“
Es ist schwer sich die Katherine Bea, die ich vor mir sehe, zur Zeit ihrer Wehrpflicht in der Legion, vorzustellen. Von 16-20 muss jeder Bürger der Republik ihre Zeit gleichermaßen dienen… außer den reichsten, die oftmals als zu wichtig, von den Gönnern und Arbeitsgebern, die zufällig Freunde der Familie sind, erachtet werden. Schockierend, dass jemand, der so offensichtlich reich war wie sie, nicht die gleiche Route genommen hatte. Sie scheint für den Moment in Gedanken versunken zu sein, also nutze ich die Gelegenheit, sie selbst herauszuschnappen.
„Das war erst die erste Nachricht, richtig, Katherine? Was ist mit dem Rest?“ Ihre Augen pausieren auf mir, als ob sie mich zum ersten Mal wahrnehmen würde. Ihre Stimme, zusammen mit ihren Augen, hatten ihre Funken verloren, als sie fortfährt:
„Oh, richtig, das Narrenspiel. Es ist einfacher, wenn ich es Ihnen zeige. Machen Sie auf.“ Für einen Moment, platziert sie zwei Finger an der Seite ihres Halses und eine kleine Box aus Licht erscheint in meinem Sichtfeld.
Cheshire_Kat möchte sich verbinden.
Erlauben?
Ich nicke schweigend, und die Box erweitert sich, um ein Viertel meines Sichtfeldes einzunehmen. Das Bild von Valdie ist nur für eine Sekunde sichtbar, bevor es verschwindet und von einem pausierten Video einer Liveshow ersetzt wird.
„Möchten Sie vielleicht etwas essen? Es wird eine Weile dauern und ich hätte Lust auf einen Beef Burger.“
„Ich… brauche nichts.“ antworte ich vorsichtig. Die Art und Weise, wie sie das Beef betonte, überraschte mich.
„Valdie zahlt. Es ist immerhin ein Geschäfts-Brunch.“ Das selbstsichere Lächeln ist zurück auf ihrem Gesicht, als eine Lieferapp das Video ersetzt, und die lächerlichen Preise, die Idioten für „echtes Fleisch“ zahlen, beschreibt. Sie denkt sie weist mich in meine Schranken. Was für ein Pech, dass du nichts über mich weißt. Schamlos könnte genauso gut mein Zweitname sein.
„Sicher. Werfen Sie einen Milchshake und Zwiebelringe hinzu?“
„Sicher doch, Legatus.“ Ich kann nicht anders, als einen Blick auf die Zwischensumme zu werfen, bevor sie verschwindet. Heutzutage ist Fleisch wirklich Mord.
*************
Zwei Stunden später sind wir endlich den ganzen Fall durchgegangen und haben das Spiel bis zum aktuellen Zeitpunkt zusammengefasst. Eine kryptische Botschaft, die in einem Bild versteckt war, ein Witz in Form eines Gedichts, bei dem das erste Wort jeder Strophe einen Satz bildete, der Pulse and Shimmer Morsecode, ein weiteres Bild in den sozialen Medien, welches jedoch Exif-Daten enthielt, die einen Teil der Republik verlinkten, der mit einem Geotag versehen worden war. Die Botschaften hatten alle eine ähnliche Bedeutung, aber in verschiedenen Formulierungen. Es war alles märtyrische Rhetorik über die Doomers - die Menschen, die vor dem Fall lebten - und darüber, dass die moderne Menschheit es besser machen muss. Das ist die Tiefe, die das ARG bisher erreicht hatte. Die Geodaten auf dem letzten Bild, wiesen den Fans den Weg zu einem Lagerhaus im Südosten der Republik, aber keiner der Spieler hatte dort bisher einen weiteren Hinweis gefunden.
Ich bin wirklich stinksauer. Lieber Zuhörer, Du hast mich schon oft über diese Geschichten klagen hören, die einen die Realität in Frage stellen lassen, ohne eine eindeutige Antwort zu geben, aber dies ist ein weiteres meiner Lieblingsärgernisse. Wenn man eine Geschichte erzählt, dann sollte man besser einen Plan haben. Man sollte wissen wie sie endet und dies sollte sich aus den Themen und der Struktur ableiten lassen. Es gibt nichts Ärgerlicheres, als alle Teile eines Puzzles zu finden und festzustellen, dass der Schöpfer nur improvisiert hat und nicht genug Informationen gegeben hat, um die Schlussfolgerung frühzeitig zu erkennen zu können. Sicherlich kann man ein paar Ablenkungsmanöver einbauen, aber wir brauchen auch diese Chekhov‘schen Geschütze, die aus allen Zylindern feuern!
Katherine versichert mir, dass ich über alle Informationen verfüge, welche bisher bekannt sind. Welche entweder durch sie oder die Gruppe der Fans, die an dem ARG teilnahmen, erarbeitet wurden. Außerdem hat sowohl sie, als auch Valdie, mir versichert, dass es keine Manipulationen an Valdies I'mprints gibt, die es ihnen ermöglichen könnten, eine koordinierte Aktion wie diese durchzuführen, obwohl sie regelmäßig neu gestartet werden.
„Freut mich, dass Sie mit den Narren reden wollen“, erklärt Katherine, nachdem wir alle Hinweise durchgesprochen haben. „Der große Mann und ich haben beide versucht zu fragen, was sie vorhaben, wenn wir einen neuen Hinweis entdecken, aber sie stellen sich dumm, egal wie oft wir fragen.“
Über meine IIs wird eine Aufnahme von einem Valdie aus einer anderen Zeit abgespielt. Es ist immer noch derselbe Look wie sein derzeitiger Duotar, aber die Farben sind gedeckter, das Haar länger und die Wimpern voller. Duotare altern nicht, mag der Besitzer also ein bestimmtes Aussehen, altert der Duotar im Duoverse im Grunde nicht. Sein früheres Aussehen war einfach jugendlicher und niedlicher. Die Modetrends hatten sich geändert, während der Mann selbst derselbe blieb. Ich höre Katherines Stimme, die nach den Geodaten fragt, und sehe, wie der I'mprint ein vertrautes übertriebenes Achselzucken zeigt. Aus Katherines kleinerer Perspektive wirkt das Achselzucken noch dramatischer und ein wenig einschüchternd.
„Ich lese über 600 Kommentare pro Stunde und antworte auf fünf Prozent davon, während ich vier Social-Media-Posts pro Tag plane und jede Kritik und jedes Meme lese, das in meine Richtung gepostet wird. Glaubst Du wirklich, dass ich die Zeit habe, dabei noch nebenher Spiele zu spielen?“ Der Valdie I'mprint beendet die Antwort mit einem herzhaften Lachen, das heiser und müde klingt, als er fertig ist. „Drei weitere Kinder haben mir gerade gesagt, ich solle mich umbringen, während wir uns unterhalten haben. Denkst Du, ich kann jetzt zu meinen geliebten Fans zurückkehren?“
„Haben Sie den immer noch nicht neu gebootet?“ frage ich, wobei sich unbewusst ein wenig Sorge in meine Stimme schleicht.
„Er ist am Ende seiner Kräfte.“ Katherine bestätigt meinen Verdacht ohne Emotionen. „Zwei Monate Arbeit in den sozialen Medien ohne Pausen machen das mit einem. Aber die Fans lieben die Interaktion! Seine Tiraden werden immer tiefgreifender! Wir hätten ihn schon vor ein paar Tagen in den Ruhestand geschickt, aber dann kam das Bild von ihm, also behalten wir ihn, bis die Untersuchung abgeschlossen ist. Sagen Sie mir einfach Bescheid, wenn Sie ihn verhören wollen.“
Ich schüttle entschlossen den Kopf. „Ich sehe mir lieber erst einmal das Lagerhaus an und schaue, ob ich selbst etwas finden kann.“ * Mit zwei großen Schlucken trinke ich den kleinen Rest Bananenmilchshake in meinem Becher aus und stehe auf. „Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Katherine. Ich werde Sie wissen lassen, was ich finde.“
Sie steht auf, streicht ihren Rock mit den Fingern glatt und führt mich dann zur Tür. „Ich kann es kaum erwarten! Mach Dich nicht kaputt, da draußen!“ *
Auf dem Weg zur Tür entweicht mir ein kleines Lachen von meinen Lippen. Es kommt selten vor, dass mir bei einem Job etwas rausrutscht. „Vielleicht solltest Du seine Witze schreiben“, scherze ich. Die Fahrstuhltüren schließen sich so schnell hinter mir, dass ich fast meinen Stand verliere. Ich meinte es als Kompliment... Was ist falsch an schlechten Wortspielen?
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Es ist früher Nachmittag, als ich am Lagerhaus ankomme, und die Sonne brennt heiß. Normalerweise würde ich die Intensität der Sonne kaum bemerken und ihren brennenden Blick nur ein paar Sekunden lang zwischen meinem Auto und dem nächsten abgeschirmten Gebäude spüren. Leider ist dieses ARG genauso viral, wie Katherine gesagt hat, und die gesamte Tiefgarage sowie mehrere Reihen des Außengeländes sind von anderen Spielern belegt.
In der Sekunde, in der mein Arm die Autotür aufstoße, blinkt in meinem II-Sichtfeld ein Alarm auf. Ich blinzle es weg, wohl wissend, dass ich Schutz suchen muss, und jogge zum Gebäude, wobei ich meine zwei Metallhände vor mein Gesicht halte, um es so gut wie möglich abzuschirmen.
Das Lagerhaus liegt weit vom Zentrum der Republik entfernt. Es dient keinem anderen Zweck als der Lagerung und dem Vertrieb, und deshalb hatte sich das Unternehmen, dem es gehörte, für ein möglichst einfaches Aussehen innerhalb des Duoverses entschieden. Von außen betrachtet war es einfach ein Kasten aus Licht. Als ich mich nähere, zeigt es mir eine Anzeige, davon dass Lagerbehälter für eine begrenzte Zeit zu niedrigen Preisen erhältlich seien, und jetzt, als ich in seinen Schatten eile, wirbt es für Nyx-Sonnenschirme. „Stark genug, um sogar die Mittagssonne zur Nacht zu verwandeln.“ Ich kann mir nicht vorstellen, wie beleidigend sich die gezielte Werbung für diejenigen anfühlt, die nicht für eine werbefreie Erfahrung zahlen.
Im Inneren der Lagerhalle tummelt sich ein langsamer Strom Bürger der Republik, die in kleinen Gruppen umherwandern und sich vermischen. Einige von ihnen haben Avatare im Valdie-Stil, mit Porzellanhaut, karmesinroten Lippen und grünem Haar. Der Rest sind die üblichen personalisierten Stile, die für die „einzigartige“ Persönlichkeit jedes Einzelnen angepasst werden. Dämonen mit roter oder blauer Haut und passenden Hörnern, Tierhybriden mit unterschiedlichen Abstufungen in Fellmenge, Maskottchen, die kaum menschlich waren, und dann natürlich die immer schönen, „durchschnittlich“ aussehenden Menschen. Wenn sie irgendwelche Makel hatten, dann trugen sie nur zu ihrem Aussehen bei, von gut platzierten Narben bis hin zu winzigen Schönheitsflecken in bestimmten Formen.
Das waren die Durchschnittsbürger der Republik. Da sie die Möglichkeit hatten, so auszusehen, wie sie wollten, entschieden sie sich für den Anschein einer Cosplay-Convention, einer Rennaisance-Messe und eines Cyberpunk-LARP, die am selben Ort stattfinden sollten. Die wohlhabenderen Bürger hatten sogar Effekte auf ihren Duotaren, die es ihnen ermöglichten, Spuren zu hinterlassen, wie Feuer zu brennen, wie Eis zu leuchten oder wie Sterne zu glühen. Stell Dir einen VR-Chat mit hyper-realistischen Grafiken vor. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen, aber es macht das Leben wirklich interessant.
Ich bin kurz davor, zu blinzeln und in das Universe zurückzukehren, aber eine Sache lässt mich verbleiben, trotz des ablenkenden Duoverse: Der Gestank! Ich habe keine Ahnung, wie lange diese Schar von Fans das Atrium dieses Lagerhauses als Geisel gehalten hatte, aber bei der Menge, die sich auf so engem Raum befindet, gibt es keine Chance, für mich in die Realität zurückzukehren. Vielleicht sollte ich den Professor bitten, nach einer Möglichkeit zu suchen, die Sinne einzeln zu manipulieren. Er hält meine derzeitigen Änderungen schon für illegal genug, aber wenn er Zeuge dieses Mangels an Hygiene wäre, würde er es sich vielleicht noch einmal überlegen.
„Ohhhh, ein Legatus!“, ruft irgendeine Art Tiermädchen aus, während sie mich mustert.
Ich bin vielleicht ein Detektiv, aber wenn Du ein Mädchen mit flauschigen, spitzen Ohren und einem Schwanz ansiehst, kannst Du mir mit Sicherheit sagen, welche Art von Katze, Fuchs, Löwe, Hund usw. es ist!?
„Sieht aus, als müssten wir die Spur schnell erschnüffeln, Wolfsrudel! Die Legion ist uns auf den Fersen und wir werden nicht zulassen, dass sie uns die Beute wegnehmen!“ Sie ist in vollem Auftrittsmodus, berührt mit einem Finger ihre Nasenspitze und posiert mit dieser dann zur Seite, bevor sie sich dreht, um ihren Schwanz für eine virtuelle Kamera zu zeigen, die ich nicht sehen kann. Ein weiteres lustiges Merkmal der Duoverse: alles ist virtuell, so dass Entertainer wie das - ich nehme an - Wolfsmädchen hier, den perfekten Winkel für ihre Live-Streams und Aufnahmen finden können. Während des Dienstes kann mein Duotar nicht aufgezeichnet werden, sondern erscheint im Stream als schwarze Silhouette mit rotem Umriss. Das hält sie aber nicht davon ab, neben mir zu posieren, bevor ich an ihr vorbeiziehe.
Mehrere andere Bürger in dem Meer von Schaulustigen haben mir ebenfalls den Rücken zugedreht und beginnen, mit einem unsichtbaren Publikum zu reden. So viel zum Thema "ruhige Ermittlungen".
Ein schlaksiger Mann mit einem perfekt kugelförmigen Afro kommt auf mich zu, während ich noch überlege, wo ich zuerst mit der Inspektion beginnen soll. Er hat ein Klemmbrett und einen Stift zur Hand, als er stottert „Wenn Sie bleiben wollen, müssen Sie zumindest für etwas bezahlen - kann ich Ihnen einen Lagerraum oder einen Container anbieten? Wir haben die beste Sicherheitsvorschriften im Südosten - und langfristige Zahlungspläne, die Sie heute noch abschließen MÜSSEN.“ Die ganze Rede kommt in einem einzigen, überanstrengten Atemzug, bevor er schließlich tief einatmet und mich ansieht.
Sein Blick wandert im Zickzack vom linken Stiefel zur rechten Hand, zum linken Arm und schließlich zu dem Abzeichen auf meiner Brust. Überall, wohin seine Augen zoomen, sehen sie schwarz, rot und weiß, bis er mir schließlich in die stahlgrauen Augen sieht. „Oh, Legatus, sind Sie in offizieller Mission hier?“, fragt er, als er mich zum ersten Mal sieht.
„Leider. Ich werde mich nur umschauen. Nichts Ernstes. Ich nehme an, Sie haben von dem ARG gehört?“
„Natürlich! Es ist ein gemischter Segen. Ich habe diese Woche mehr verdient als im letzten Jahr, aber es war verdammt hektisch.“ Er wischt sich über sein scheinbar sauberes Gesicht, jedoch ist sein Ärmel danach feucht. Entweder ist er zu arm, um sich einen Duotar zu leisten, der auf die Elemente reagiert, oder er hat ihn so eingestellt, dass er seinen Schweiß verbergen kann. Das bestätigt meine Vermutung, dass es schrecklich gewesen wäre, den Geruch dieses Raumes wahrzunehmen. „Aber ich verstehe den alten Valdie nicht. Er mietet hier nichts. Warum er dies als Standort für sein Spiel gewählt hat, ist mir schleierhaft.“
„Natürlich ist es dir das“, meldet sich eine selbstgefällige Stimme von hinten. Ein kleiner Mann tritt hinter dem Angestellten hervor und stützt einen dünnen Ellbogen auf seine Schulter. „Nur echte Fans verstehen die Bedeutung dieses Ortes.“ Jede Silbe strotzt nur so vor Selbstgerechtigkeit und unverdientem Selbstvertrauen. Wenn man sich ihn so ansieht... vielleicht doch ein Junge, sein Aussehen passte auf jeden Fall. Das dunkelgrüne Haar ist nach hinten gegelt und klebt glatt auf seinem Kopf. Rein weiße Haut mit leuchtend gelb geschminkten Lippen. Sein Outfit war eine Eins-zu-eins-Kopie von Valdies Outfit, aber blau statt lila.
„Nettes Cosplay“, sage ich, als ich merke, dass er etwas Input von mir braucht, um weiterzumachen. Die Clowns scheinen das alle zu tun. Es folgen einige Sekunden des Schweigens, in denen der Lagerarbeiter zwischen uns hin und her schaut, bevor er sich unter dem Gewicht des Mannes herauswindet und mit einem gedämpften „ganzer verdammter Zirkus“ durch die Menge zurück geht.
„...Danke. Es ist ein Unikat, weißt Du. Das Duo, das Valdie in seinen frühen Jahren trug. Hat mich ein Vermögen gekostet.“ Seine Zuversicht scheint zunächst erschüttert zu sein, aber er kommt schnell wieder zu sich und schlägt den Kragen seines blauen Anzugs hoch.
„Valdie hatte eine nicht vertretbare Auktion?“ frage ich und bin überrascht, dass jemand, der so reich ist wie er, Teile seiner Geschichte verkaufen würde. Der Mann hängt an seiner eigenen verrottenden Haut.
„Oh ja! Das und tonnenweise Kunst, er hatte damals sogar I'mprints zu vermieten.“ ruft der Mann aus und hebt vier Finger jeder Hand in die Luft, welche in der Mitte geteilt sind, das, wie ich annehme, „V für Valdie?“ bedeutet.
Richtig, nicht einmal sein größter Fan hier weiß, dass diese I'mprints noch existieren. Sie sind nur nicht mehr für Fans zum Ausleihen verfügbar.
„Er versteigerte eine Menge Sachen aus seiner Anfangszeit, als er alkoholkrank war und sein Vertrag gekündigt wurde. Dieser Duo ist nur einer der Schätze, die aus dieser Zeit im Netz kursieren.“
„Was meinst du damit, dass echte Fans die Wichtigkeit dieses Ortes kennen? Hat Valdie hier gearbeitet, bevor er Komiker wurde oder sowas?“ Ich rate, ich suche nach einer präzisen Antwort anstelle eines weiteren Flexes.
„Fast, aber nicht ganz, Legatus. Nein, diese bescheidene Behausung war nicht sein Arbeitsplatz, BEVOR er Komiker wurde, aber es überrascht nicht, dass Sie das nicht wissen.“
Unnnnnnd, da fängt er wieder an. Ich frage mich, ob er mit einer Hand um den Hals weniger gesprächig wäre?
„Es gibt ja nicht einmal Aufzeichnungen von der Aufführung, nur Geschichten - Legenden!“ Der Mann hat eine weitere extravagante Pose eingenommen, eine Augenbraue weit über die andere gehoben, wie eine perfekt geschwungene Tilde (Welle), die das Schweigen verlängert. „a-anscheinend hat Valdie hier seinen allerersten Auftritt gegeben, wissen Sie? Er hat eine ganze Etage des Lagerhauses gemietet und eine Menge Leute eingeladen. Man hatte zufällig das Geld und die Verbindungen, um sein nächstes Debüt zu einem echten Headliner-Event zu machen! 'Clowning the Fools!' Sein erstes Meisterwerk!“
Das wusste ich. Ich dachte immer, dass "Clowing the Fools" Valdies allererster Auftritt war. Es ging viral, weil ein damaliger Niemand aus dem Nichts mit einem zweistündigen Stand-up-Roasting auftauchte, in dem er nicht nur andere Komiker, die er für öffentlichkeitsscheu und unbedenklich hielt, sondern auch mehrere Praetoren und andere Berühmtheiten einbezog. Wer hätte gedacht, dass sein erster noch nicht einmal aufgenommen wurde? Nun, nein, das kann auch nicht richtig sein. Alles wird aufgezeichnet, selbst vor 40 Jahren, als die IIs nur eine visuelle und hochmoderne Technologie waren, hatte jeder ein Headset. Sie müssten das gesamte Filmmaterial gekauft und sichergestellt haben, dass keine Kopien im Netz kursieren. Hatte Valdie etwas gesagt, das vor der Öffentlichkeit verborgen werden musste? Ich denke im Stillen über diese neue Entwicklung nach, während sein größter Fan weiterhin seine Liebe für Valdie verkündet. Wenn es jemanden zu fragen gäbe...
„-Legenden?“ Ich unterbreche den offensichtlich einstudierten Monolog des Mannes und verblüffe ihn mit seinem vielleicht ersten Schweigen. „Was sagen die Geschichten über Valdies Auftritt hier? Es ist ziemlich verrückt, dass niemand irgendwelche Aufnahmen hat, oder?“
Das Gesicht des Fans leuchtet vor Freude auf, sein Stolz lässt seine Liebe zum Publikum wieder aufleben. „Ein Fest für die Sinne“, verkündet er mit Shakespeare'scher Ernsthaftigkeit. „Er brachte die ganze Menge zum Lachen und zum Nachdenken über ihren eigenen Platz in der Welt. Man sagt, dass es noch besser war als Clowning the Fools, mit mehr bissigen Kommentaren, mehr Theatralik und mehr Valdie!“ Ein weiteres Double von V erscheint auf den Fingern des Fans, der wie in Trance rhythmisch nickt.
„Hatte das zufällig etwas mit dem Märtyrertum zu tun?“ Meine Frage reißt ihn aus seinem Tagtraum und zurück in die langweilige Realität.
„Die gab es damals schon? ...keine Ahnung, aber niemand kümmert sich so sehr darum, es zu erwähnen...Moment! Kann das alles sein?“ Die Stimme des Fans ist zu einem Schrei geworden, der sich gegenüber dem brüllenden Chor im Atrium durchsetzt. „Legatus, Du bist ein Genie! Es ist ein neues Stand-up-Special über diese Märtyrer-Freaks! Er kehrt zu seinen Wurzeln zurück und macht ein komplettes Special über ein Thema! Ich frage mich, ob sie es hier aufnehmen werden!? Ich muss das sofort posten. Was dagegen, wenn ich ein Foto mache?“ Bevor ich auch nur die Hand heben oder seine Bitte ablehnen kann, blinken seine IIs sanft auf und ein Auslöser Geräusch hallt durch den nun stillen Raum. „Oh, Privatsphäre-Einstellungen? Richtig, macht Sinn, könntest Du die ausschal-“
Ich dränge mich an dem Clown vorbei und gehe durch das Meer von Valdie-Fans, die jetzt in kleinen Gruppen murmeln und Nachrichten für die sozialen Medien aufnehmen. Es dauert eine quälend lange Minute, aber dann sehe ich endlich den schlaksigen Angestellten von vorhin, der in der Ecke an einem virtuellen Schreibtisch tippt, das Klemmbrett schwebt neben ihm in der virtuellen Luft.
„Entschuldigung...“
„Ja, ja, einen Moment, wir räumen gerade Platz freeeeei... wie kann ich - oh, Legatus! Entschuldigung, Sir! Womit kann ich Ihnen helfen?“ Monitor und Tastatur blinken fort, als der überarbeitete Angestellte seine Handgelenke vom Schreibtisch hebt.
„Ich habe mich gefragt, ob Sie eine kurze Suche in Ihren Unterlagen durchführen könnten.“ In der Mitte des Satzes bemerke ich, dass der brummende Raum hinter mir verstummt ist. Man muss kein Detektiv sein, um zu erkennen, dass jedes Wort von den Dutzenden von Fliegen an den Wänden gefressen wird. Ich seufze, bevor ich die Augenbrauen hochziehe und mit zwei Fingern meinen Hals berühre. Mit einem Kopfnicken übermittle ich die Nachricht an den Mitarbeiter, der sich auf dieselbe Weise mit meinem Netzwerk verbindet, wie zuvor bei Katherine.
„Ich muss jemanden finden, der eine ganze Etage im Lagerhaus gemietet hat.“ Der Mann, Joseph_Velox, wenn man seinem DV-Namen glauben darf, hört meine Stimme laut und deutlich, auch wenn ich keine Worte spreche. Offensichtlich ungewohnt ist die Nutzung des II Interface Messaging, daher nickt er als Antwort einfach zurück und drei Namen und ihre Stockwerke erscheinen in meinem II-Sichtfeld. Stell Dir II Interface Messenger als Discord vor, aber mit 4 der 5 Sinne als mögliche Kommunikationsmethoden. Der Dienst hat sich schon vor einiger Zeit durchgesetzt, aber einige Nutzer empfinden es immer noch als unangenehm, wenn andere Personen Zugang zu Teilen ihrer sensorischen Daten haben.
Man muss sich nicht alle drei Ergebnisse ansehen. Ein körperloses Grinsen blitzt in meinem Kopf auf, als ich den letzten Namen auf der Liste sehe. Katherine Bea hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen Decknamen zu benutzen, um den nächsten Auftrittsort ihres Chefs zu mieten. Die beiden haben gerade einen Legatus auf eine sinnlose Verfolgungsjagd geschickt. Das ist ein Verbrechen, aber eines, das bei jemandem, der so angesehen ist wie Valdie, nur eine Geldstrafe nach sich ziehen würde. Eine saftige Geldstrafe für jeden normalen Menschen, die ungefähr dem entspricht, was er für mich und Katherines Burger ausgegeben hat.
Ein weiterer Seufzer entweicht meinen Lippen, als ich die Verbindung mit Velox abbreche. Mittlerweile sollte ich wirklich anfangen, der Legion pro Seufzer Geld zu berechnen. „Danke für die Zusammenarbeit“, sage ich, gehe durch den Raum zu einem nahe gelegenen Aufzug und drücke auf den Aufwärtsknopf. Das Lagerhaus ist voll von aufgeregtem Geplapper, während Valdies Fans mich vorsichtig beäugen und nicht wenige, den ohnehin schon überlasteten Velox mit Fragen löchern.
„Legatus, was haben Sie gefunden?“ Es ist der Mann, der Valdies verlorenes Duo trägt, der den Mut hat, zu mir in den Aufzug zu kommen. „Ich habe Ihnen doch geholfen, oder? Kommen Sie schon, verraten Sie mir den nächsten Hinweis!“ Ich betrete den Aufzug und drücke den Knopf für das Stockwerk von Katherine und Valdie und drehe mich zu meinem Informant um.
„Denk nur an das, was Du mir erzählt hast, und an die Märtyrer“, antworte ich kalt. „Versetze Dich mal in Valdies Gedankenwelt, er war so verzweifelt das er den Duo, der jetzt in Deinem Eigentum ist, verkauft hat. Ich bin sicher, dass Du das tun kannst und dann wirst Du verstehen, was ich getan habe.“
Der Mann strahlt vor Freude, als ich ihm den Hinweis gebe. Ich muss ihm wohl gerade ein Kompliment gemacht haben. Ich habe vorgeschlagen, dass er Valdie ähnlich sein könnte. Natürlich hat er nicht verstanden, was ich eigentlich gesagt habe. Er ist einer der größten Fans von Valdie, und doch spricht er so stolz darüber, wie er sich an dem labt, was fast die Leiche seiner Karriere war, als er abstürzte. Viel Spaß dabei, irgendetwas davon mit dem Martyrismus in Verbindung zu bringen. Ich kann es jedenfalls nicht.
Der Martyrismus ist ein extremistischer Ableger der Apologeten. Die Apologeten selbst sind nur ein Haufen verschiedener philosophischer Gruppen, die in der Republik überlebt haben. Jede einzelne Gruppe hat nur ein paar Tausend Mitglieder in ihren Gemeinden, und es gibt sicherlich kein hartes Durchgreifen oder Gesetze gegen diese. Natürlich widersprechen die guten und schlechten Taten, die die Doomers und die Gründer der Megacity vollbracht haben, um in der gegenwärtigen Welt zu überleben, vielen Doktrinen, ebenso wie viele der Technologien, die es der Republik ermöglichen, aufzublühen. Erst als die Bürger der Republik - natürlich unterstützt von den reichen Konzernen, die die von den Apologeten gehassten Technologien bereitstellen - begannen, sie alle als eine Gruppe von „Apologeten-Fanatikern“ lächerlich zu machen und zu ächten, entstand der Martyrismus.
Stark vereinfacht gesagt, glauben die Märtyrer, dass die Doomer, also diejenigen, die vor dem Fall der Zivilisation und der Entstehung von Megacities und Biodomes gelebt haben, dem Planeten so viel Schlechtes angetan haben, dass wir, ihre Nachkommen, die gesamte Menschheit, für ihre Sünden sterben und dem Planeten erlauben müssen, sich ohne uns zu heilen. Martyrerzellen versuchen gelegentlich, sich mit Gewalttaten gegen die Republik einen Namen zu machen, aber bisher waren sie ein kleines Ärgernis im Vergleich zu der Aufmerksamkeit, die sie erhalten. Die Konzerne und die Legion stellen sie gerne schlimmer dar, als sie sind, denn sie sind zweifellos eine Bedrohung, aber dadurch haben sie mehr Apologeten und unbeteiligte Bürger für ihre Sache gewonnen und die Vorstellung gestärkt, dass sie eine Rebellion anzetteln wollten.
Wenn das Märtyrertum irgendetwas mit Valdies ARG-Marketing für seine nächste Sendung zu tun hat, habe ich keine Ahnung, wie es dazu passt, aber die Verwendung des Buches der Märtyrer, ihres Manifests, in seinen Andeutungen hat sicherlich dazu beigetragen, dass sich die Republik mehr für sein Vorhaben interessiert.
Der 84. Stock des Lagerhauses ist eine weitere Bestätigung dafür, dass dies alles nur ein Marketingtrick ist. Der gesamte Bereich ist offen gestaltet und unauffällig. Es pulsiert und schimmert im Licht des Duoverse, hat aber außer seiner Funktion als offener Lagerplatz kein wirkliches Design. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, Hunderte von Stühlen zu einem provisorischen Publikum zu arrangieren, die alle einer Wand des Raumes zugewandt waren.
Ich wandere ziellos zwischen den leeren Sitzbänken umher, die später mit der Gemeinde gefüllt werden sollten, die sich gerade im Atrium befand, mit vielen anderen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Valdie versuchen wird, das alles mit einem eigenen VIP-Sitz für mich wieder gutzumachen. Nicht gerade die Belohnung, die ich mir gewünscht hätte, aber wer würde schon Nein sagen, wenn er seine Kindheitshelden live erleben kann. Und das als gesetzlich verpflichteter Zeuge. Spaß.
Mit zwei Fingern auf dem Knopf an meinem Hals rufe ich Valdie an. Er meldet sich nach dem 5. Klingeln, die Stimme noch etwas groggy von der „wichtigen Arbeit“, für die er mich am Morgen verlassen hatte.
„Fulgur, ich habe nicht erwartet, so schnell von Dir zu hören. Hast Du unser kleines I'mprint-Problem gelöst? Was war es denn?”
„Ich habe es gelöst“, antworte ich, wobei ich versuche, meine Frustration aus meinem Tonfall herauszuhalten. „Ich muss immer noch wissen, wie Du es geschafft hast, die Geschwindigkeit des Pulse and Shimmer zu kontrollieren.“ Einen Moment lang herrscht Schweigen, dann raschelt etwas, von dem ich annehme, dass es sein Bettlaken ist.
„Ist das nicht Dein Job? Ich dachte, Du hättest es gelöst? Frage... wer auch immer es war.“
„Genug.“ Dieses Mal erfüllt Frustration meine Stimme. „Ich habe das Lagerhaus gefunden, das für Deine nächste Show vorbereitet ist. Du bist derjenige, der das ARG kontrolliert hat, nicht irgendwelche I'mprints.“
Es gibt eine Pause von mehreren Sekunden, als ich im Hintergrund eine Flüssigkeit fließen höre. „Welches Lager!? Junge, ich bin ein vielbeschäftigter Mann und das klingt wie eine Anschuldigung. Soll ich Deinen Praetor anrufen und einen neuen Legatus bestellen?“
Ich hätte bei seinem abweisenden Tonfall fast laut aufgeschrien, aber stattdessen hole ich tief Luft und beiße die Zähne zusammen. „Das Lagerhaus, in dem Du Deine erste Stand-Up-Performance gegeben hast. Ich habe die Etage gefunden, die Katherine gemietet hat, zusammen mit der Bestuhlung.“ Zu diesem Zeitpunkt gestikuliere ich mit meinem linken Arm, als ob er irgendetwas davon sehen könnte. Vielleicht habe ich mich ja zu sehr an das IIM gewöhnt.
„Hm ... oh ... ich verstehe.“ Valdie hört sich an, als würde er endlich aufwachen, und ich höre, wie er sich bewegt und Schritte macht, als er offensichtlich aus dem Bett steigt. „Du hast Katherines Vorbereitungen gefunden. Scharf wie ein Messer, wie ich sagte. Ich hätte nicht erwartet, dass es so schnell geht.“ Er klingt nun völlig wach, aber auch abgelenkt. Er ist traurig, und verbirgt es kaum. Es ist mehr als nur, entdeckt worden zu sein. Er macht sich bestimmt keine Sorgen um die Strafe, nachdem er einfach so die Legion gerufen hat. „Gut gemacht, Junge. Ich rufe Chroma an und lasse sie wissen, dass Du all meine Erwartungen übertroffen hast. Die Sache mit dem Lagerhaus bleibt aber unter uns dreien, okay? Ich zahle jede Strafe, die ich für die Verschwendung der Zeit der Legion zahlen muss, und ich werde etwas Besonderes für Dich vorbereiten. Warte nur, bis Du siehst, was...“
„-Mr. Jimmy“, unterbreche ich ihn. Er erstarrt mitten im Satz und lässt ausnahmsweise mal die Stille anhalten, bis ich fortfahre. „Ich muss immer noch etwas über den Pulse and Shimmer erfahren. Wie haben Sie es kontrolliert?“
„Ich werde es Dir in ein paar Tagen sagen, okay, Kleiner?“ Seine Stimme gewinnt mit jedem Wort an Sicherheit zurück. „Das ist wirklich keine große Sache. Wie wäre es, wenn Du am Mittwoch zu mir kommst und wir beim Essen darüber reden?“
„Ich kann den Fall nicht abschließen, bevor ich es erfahren habe. Ich kann in etwas mehr als einer Stunde da sein...“
„-Ich zahle jede Gebühr, die die Legion für die nächsten Tage verlangt! Nimm einfach Urlaub, Kleiner –weißt Du, ich schicke Dir ein paar tausend Kredits und Du machst Dir einen schönen Tag!“
Oh, und was ist mit der Zuversicht passiert? Keine Traurigkeit mehr, jetzt klingt es wie Angst. Ich kann sie praktisch riechen. „In etwas mehr als einer Stunde, Valdie. Ich sehe Dich bald.“ Ich höre etwas Protest auf der anderen Seite, als ich die Verbindung unterbreche. Ich hatte gedacht, dass sich alles zusammenfügen würde, aber es scheint, dass selbst Valdie nicht die ganze Geschichte kennt.
*************
Valdies Wohnungs-Tower fühlt sich düsterer an, als ich mich ihm diesmal nähere. Es ist spät am Nachmittag, im Duoverse geht die Sonne bereits unter und taucht den makellosen Turm in kontrastierendes Orange und Schwarz. Jede Etage des Gebäudes scheint seinem Pächter eine leichte Kontrolle über sein Erscheinungsbild im Duoverse zu ermöglichen. Das Ganze ist polierter Stein, aber jedes einzelne besteht aus verschiedenen Farben und Mustern, die von den Eigentümern ausgesucht wurden. Ganz oben waren die zwei Geschosse von Valdies Penthouse in grün und lila, wagemutiger von außen als der raffinierte Look von innen.
Trotz all der verschiedenen Erscheinungsbilder gab es eine Tatsache, die das gesamte Gebäude zementiert. Als ich in die Tiefgarage fahre, werde ich von drei Kameras begrüßt und zwei dicken Schichten von dicken Metalltoren, die darauf warten dass ich ein Apartment anrufe oder meinen Autorisierungscode eingebe. Wie viele automatisierte Geschütze gerade auf mich gerichtet sind, ist mir nicht bewusst, aber die Antwort ist sicherlich höher als eins.
Auf dem Weg hinein hatte ich Valdies Code eingegeben und habe auf die Autorisierung von oben gewartet, aber dieses Mal sage ich selbstbewusst „Fulgur Ovid, Legatus, Division 505.“ Die zwei Schichten des Metalltores gleiten jeweils nach oben und unten, wie der Kiefer eines Giganten mit Überbiss und ich mache mich weiter auf den Weg zu parken und nehme den Aufzug zu dem Gehirn des Biestes.
Einige Sekunden beruhigender Fahrstuhlmusik später, öffnen sich die Türen zu dem Wohnzimmer in dem ich Valdie vorher bereits getroffen hatte. Im Gegensatz zu dem ruhigen und warmen Willkommen dem ich zuvor begegnet bin, wurde ich nun mit Gebrüll begrüßt welches schnell zu gedämpftem Flüstern wird. „Ahh, Legatus, ich habe Dich nicht klingeln gehört.“ Valdie's Stimme findet schnell das angespannte Selbstvertrauen, das er am Telefon aufbrachte. Er und Katherine sitzen an dem Marmortisch, beide unfähig ihren Ärger zu verbergen.
„Ich wollte Dich nicht stören, Du wusstest ja dass ich vorbeikommen würde und Du bist so ein vielbeschäftigter Mann.“ Bei dem Kommentar zuckt er zusammen und sieht ein paar Mal zwischen Katherine und mir hin und her. „Ich kann warten, bis Ihr Euer Gespräch beendet habt“, biete ich an.
„Nein, wir können uns erst mal darum kümmern. Du willst etwas über das ARG wissen, richtig? Katherine kann Dir helfen, mit allem was du wissen möchtest.“
Katherine lässt einen frustrierten Seufzer aus, der halb zu einem Knurren wird, bevor sie ihren wütenden Blick auf mich richtet. Ihre Stimme hat die Freude verloren, die sie diesen Morgen noch hatte, als sie einfach fragt „Was möchtest Du wissen?“
„Den dritten Hinweis. Du hast eine Nachricht in dem Pulse und Shimmer versteckt. Das sollte nicht möglich sein. Es ist per se nicht illegal, aber es ist komisch. Wie hast Du das angestellt?“ Ihre geschminkten Lippen zucken, als sie hörbar mit der Zunge schnalzt.
„Keine Ahnung, Legatus.“ Sie hätt ihre Hände so hoch, dass ihre Handflächen einander zugewandt sind. „Ich habe dafür, dass das passiert einen Typen bezahlt. Er hat seinen Job gemacht und ist seiner Wege gegangen.“
„Nicht gut genug. Ich muss wissen wer und wie er es gemacht hat.“
„Verdammt nochm- Ich habe ihn auf einer anonymen, nicht gelisteten Seite gefunden. Ich kann Dir den Link geben aber die Bezahlung war nicht zurück verfolgbar und ich bezweifele, dass er Fragen beantworten wird. Was macht es schon aus!?“
Da bin ich an meine Grenzen gestoßen. Diese Clowns haben alle gelächelt, als sie sich der Kontrolle sicher waren, aber die Maske fiel sobald das Leben sie einholte. Ich schlage mit der Unterseite meiner Faust auf den Tisch. Das Geräusch hallt durch sein Eigengewicht durch den ganzen Raum. Als ich weiterspreche, ist meine Stimme mindestens eine Oktave tiefer.
„Mir sind Deine kleinlichen Streitereien scheißegal. Ob er Deine Marketing Strategie mag, die Idee dass er eine weitere Show in seiner Premiere Location veranstalten kann oder den Fakt, dass Du ihn wegen der I'mprints angelogen hast, interessiert mich nicht. Hör auf Deinen Frust an mir rauszulassen und versuch genauso hilfreich zu sein wie heute Morgen.“
„Es ist nicht seine Show, es ist meine!“ Stöhnt Katherine als sie sich zurück in den Stuhl lehnt. „Ich will das festhalten! Ich habe das meiste seiner Materialien der letzten zwei Jahre geschrieben! Er hat kein Recht mich von meiner Solokarriere zu stoppen!“
Valdie keucht und springt sofort aus seinem Stuhl, seine Fäuste fest geballt als er versucht seine Stimme ruhig zu halten. „Ich habe ihr Material nicht gestohlen. Sie hat es mir gegeben, ohne mir zu sagen dass es ihres ist. Ich schwöre, ich dachte es wären die I'mprints!“
Mein Mund hängt halb offen in Stille, als die beiden weiter hin und her streiten. Die Tatsache dass Valdie nichts von Katherines Plänen wusste, hatte ich aus seiner Reaktion während unseres Telefonates geschlossen, aber ansonsten war das unerwartet.
„Du hast sein Material geschrieben und gesagt es käme von dem I'mprints?“ frage ich Katherine. Die einzige Antwort die ich erhalte, ist ein ernstes knicken. „Dann... wurde das ARG von Dir und nicht von Valdie erstellt? Das Warenhaus wird also Dein Debüt?“
„Ist es so schwer zu glauben!?“ schreit sie, richtet sich von ihrem Stuhl auf, um meinem Blick zu begegnen. „Valdie hier, hat Angst vor seinem Publikum. Das hat er schon seit Jahrzehnten. Deshalb geht er nur auf die Bühne und trägt die Witze vor, die andere für ihn schreiben! Ich... schreibe die Witze. Ich sehe die Kommentare. Ich habe keine Angst davor, dass Leute mich hassen.“ Katherine setzt sich zurück in ihren Stuhl, schlägt ein Bein über das andere und schaut von uns beiden, mir und Valdie weg. Als ich zu Valdie schaue, starrt er noch immer seine Assistentin an, aber Bedenken und Schmerz zeichnen sich deutlich in seinen Gesichtszügen ab, um die Wut von vorher zu ersetzten.
Nun, ich werde meine Antwort nicht bekommen bis dieses Drama geregelt ist, also kümmere ich mich um diesen Zirkus. „Lampenfieber?“ Frage ich und gebe mein Bestes um einen beruhigenden Ton zu erzeugen.
Valdie sieht mich direkt an, dann schaut er schnell wieder weg und schließlich runter auf seine Hände, mit der Haut an seinen Fingernägeln fummelnd.
„Mehr als das...“ Seine Stimme ist fast wie ein Flüstern als Antwort. Der große Mann Valdie, der die Republik seit Jahrzehnten verspottet hat, sinkt nun zurück in seinen Stuhl und sieht aus wie ein luftleerer Party Ballon. „PTSD (Post Traumatic Stress Disorder, z.Dt. Posttraumatische Belastungsstörung). Es war Anfang meiner Karriere. Ich machte einen Witz über Jessica Aranea - sie war zu dem Zeitpunk der CEO von Mirai. Sie setzten Gesetze durch die es illegal machen, den Uni von jemandem ohne deren Erlaubnis zu betrachten. Es war kein Geheimnis, dass Aranea an dem Punkt, mehr Cynet als Fleisch war. Cynets mit falschem Gewebe zu bedecken, war damals nicht in Mode, aber ihr Duo hat sie voll fleischlich aussehen lassen. ... Ich meinte nur dass sie kaltherzig sei. Mehr Maschine als Mensch. Es war ein Wortspiel. Sie machte es praktisch illegal arm zu sein!“
„Es war nur ein Witz.“ Katherine hat sich nun beruhigt und streckt ihre Hand aus um das Knie von Valdie zu tätscheln. „Ich habe Dir gesagt, dass Dich niemand beschuldigt, alter Mann.“
„...Sie haben es. Sie sollten es.“
Valdie fängt an leises, gedämpftes Schluchzen von sich zu geben, als er in Richtung Wand geht und eine Fliese berührt, welche seinen Kühlschrank zum Vorschein bringt. Er beginnt einen Krug Mineralwasser, aus einer schick aussehenden Flasche vorzubereiten. Ich starre ins Nichts, Katherines penetrierenden Blick ignorierend. Die Suchergebnisse zu Jessica Aranea erscheinen in meiner IIsicht.
Das erste Ergebnis ist alles was es brauche. Ein Enzyklopädie Artikel von Jessica Aranea listet ihre frühen Lebensjahre, Karriere, Philanthrophie, gefolgt von ihrem Tod und Nachfolgen im Inhalt. Suizid. Valdies Witz ging viral und wurde von einem Leak von Araneas Uni gefolgt, was offensichtlich ohne ihr Wissen aufgenommen wurde. Dies führte nur zum Entstehen von weiterem Gespött und Memes. Sie hielt es für ein paar Monate aus und erwartete, dass dies wie jeder Witz irgendwann enden würde, aber jedes Mal als sie wieder in den Nachrichten vorkam, würde sie wieder belästigt, durch eine neue Welle von Verspottungen. Sie nahm sich ihr eigenes Leben und wurde von der Legion in ihrem Zuhause aufgefunden, als sie nicht zur Arbeit erschienen war.
Mirari Industries taten ihr Bestes, um den Suizid in ihrer Lobbyarbeit, gegen das Betrachten der Unis von Menschen, zu nutzen, und führte ihn als Beispiel für den Schaden an, der durch die Verletzung der Privatsphäre verursacht wird, aber die Gesetzgebung scheiterte dennoch.
„Valdie wurde verabscheut nachdem sie Suizid beging.“ fügt Katherine leise hinzu. „Er begann sich zu Tode zu trinken. Er verkaufte das meiste seines Besitzes und war auf dem Weg der „Belch-Frau“ zu folgen.“ Valdie schluchzt hörbar bei einem der Begriffe, mit denen er sich auf Aranea bezogen hatte, während Katherine weiter donnert. „Dennoch hat er wieder einen Weg von der Kante zurück gefunden.“
„Die I'mprints?“ frage ich.
„Bingo!“ Katherine richtet Fingerpistolen auf mich, nachdem sie zu ihrem ausdrucksstarken Selbst zurückgekehrt ist. „Es sieht so aus als ob der große Mann damit okay ist diese Witze zu machen, solange er sie nicht schreiben muss. Das ist alles was er nun macht. Er schreibt nicht, kommt keiner Kommentarsektion oder Rezension zu nahe. Er führt nur die von, dem alten Valdie, geschriebene Routine aus, bevor die Kommentarsektion ihn in Stücke riss. - Oh, und mein Material... welches ich bereit bin, solo zu nehmen.“
Katherine scheint nicht einmal zu verstehen, dass es nicht die Fans waren, die Valdie kaputt gemacht haben, sondern vielmehr, dass er sich die Schuld gibt, dass sein Witz für Araneas Tod verantwortlich ist. Sie ist hierfür viel besser geeignet als er. „Cheshire Kat wird Dein Künstlername sein?“
„Das ist noch in Arbeit. Das oder Chatty Kathy.“ Als sie dies sagt, wechselt ihr Duotar, von dem, von Valdie inspirierten Look, zu einem jugendlicheren und entspannteren Katzenmädchen, mit einem breiten Grinsen und gebräunter Haut, danach zu einer würdevoller aussehenden Frau. Im Grunde wie ihr aktueller Duotar, aber mit lila Augen, blonden Haaren und keiner Clown-Schminke. „Es hängt davon ab, ob ich mich für Stand-Up Fokus oder Nachrichten-Comedy-Stil entscheide.“
Valdie berührt mit zwei Fingern seinen Hals und ein Krug erhebt sich aus einem Fach auf dem Tisch, zusammen mit drei Gläsern. Er füllt eines für sich selbst, und platziert den Krug wieder in der Mitte des Tisches, sodass sich jeder von uns etwas nehmen kann. Ich muss zweimal blinzeln, um zu bestätigen, was meine IIs sehen und ja, sogar außerhalb des Duoverse sind es Zitronen- und Limettenscheiben, welche kurzerhand ins Wasser geworfen wurden. Eine weitere Suche erscheint in meiner IIsicht. Sechs Jahre... Es braucht sechs Jahre für einen Zitronenbaum um Früchte zu tragen. Acht bis zehn für einen Limettenbaum! Die unterirdischen Gewächshäuser der Republik arbeiten normalerweise fast die ganze Zeit, um die einfachsten Nutzpflanzen für die Ernährung des Durchschnittsbürgers anzubauen. Diese auf der anderen Seite gehören jedoch Privatleuten und widmen so etwas diese viele Zeit. Reiche Leute leben wirklich ein anderes Leben.
„Es stört mich nicht, wenn Du Deine Solokarriere startest. Du hast mich dennoch angelogen. Du hast uns dazu gebracht, diese I'mprints immer und immer wieder grundlos neu zu starten. Kannst Du Dir vorstellen wie sich das anfühlen muss!?“ Valdie hat bereits sein Glas gefüllt und nimmt ernst einen Schluck. Er starrt Katherine geduldig an, welche erneut mit der Zunge schnalzt, bevor sie sich zu mir wendet.
„Jetzt siehst Du warum ich die Vergleiche zu den Märtyrern gemacht habe, oder?“ Ich öffne lautlos meinen Mund und drehe verwirrt meinen Kopf zur Seite. „Och komm schon, er benimmt sich, als wären die I'mprints Menschen! Als ob Dinge, die im Internet gesagt werden, eine Rolle spielen! Er ist mittlerweile praktisch ein Doomer.“
Ich schaue zu Valdie, der gerade den Gesichtsausdruck eines enttäuschten Vaters trägt. Mit seiner rot-weißen Gesichtsfarbe, kann ich nicht anders, als es lustig zu finden. Soir Bleu.
An der Seite sitzt Katherine, derzeit Chatty Kathy, schmollend, mit ihren Armen und Beinen verschränkt, auf dem Sofa.
Dann bin da ich, mit ausdruckslosem Gesicht, der wirklich nur will, dass diese Unterhaltung zusammen mit diesem Fall endet. Halte es neutral. Ich habe kein Pferd in diesem Rennen. Die Beiden haben die Zeit der Legion verschwendet, was ihnen eine Geldstrafe einbringen würde, aber offensichtlich hat keiner von beiden ein Problem mit Geld. Valdie war damit einverstanden, dass Katherine solo geht und wirkt nicht sonderlich sauer, dass sie seine Plattform zum üben und vermarkten ihres Debüts benutzt hat. Er hat sogar versucht, sie davor zu schützen, am Ende von mir entdeckt zu werden. Ihr einziges Problem ist ein persönliches. Ein Generationsunterschied. Valdie kümmert sich um die Handlungen seiner Fans, als ob diese die Auswirkungen seiner eigenen sind und zeigt Mitgefühl mit I'mprints - Daten und Code - Einsen und Nullen. Katherine scheint nur enttäuscht von der Vaterfigur in ihrem Leben. Vielleicht wollte sie dies alles, wenn sie ihr Debüt hatte, preisgeben und erwartet, dass er stolz auf sie sein würde, wenn sie dies täte.
„Spielt es eine Rolle?“, frage ich ernst. „Valdie, Du sorgst Dich noch immer um Katherine, richtig? Verdammt, Du würdest ihr bestimmt sogar bei ihrem Debüt helfen.“ Er nickt mir zu und dreht sich zu Katherine um. „- Und Katherine, Du sorgst Dich noch immer um Valdie?“ Ihre Augen verengen sich und sie öffnet ihren Mund um zu widersprechen, aber ich hebe einfach meine Hand und fahre fort, „wenn es Dir egal wäre, würde Dich seine Reaktion auf dein Spiel nicht so sehr kümmern. Du magst vielleicht nicht alles, was er tut, aber Dir ist seine Meinung über Dich verdammt wichtig.“ Sie schmollt wieder, schaut für eine Sekunde weg, als sie zur Bestätigung nickt.
„Könntest Du dann bitte...solange aufhören Dich zu streiten, bis Du mir alles, was Du über den Hacker hast, geschickt hast, der Dir mit dem Pulse & Shimmer geholfen hat? Meine Arbeit hier ist erledigt. Ich mache den Bericht fertig, Du bezahlst die Strafe und ich lasse Euch beide alleine, damit Ihr Euch versöhnen könnt“.
„Du kannst keinen Bericht einreichen!" Katherine hat ihre Arme nicht mehr verschränkt, lehnt sich vor und schaut zwischen mir und Valdie hin und her. Nach einer Pause fährt sie alarmiert fort: „Du wirst von all dem berichten und es wird die Presse erreichen! Keiner wird bei meinem Debüt erscheinen!“
Ein Kichern entfährt mir, als ich mich hilfesuchend an Valdie wende, der mir aber keine bietet.
"Kannst Du nicht einfach sagen, dass ich der Übeltäter für alles bin? Katherine wird Dir alles geben was Du brauchst, Kind. Die Legion muss sich nicht mit den Einzelheiten beschäftigen.“ Er wirft mir einen flehenden Blick zu, Augen weit und diese karmesinroten Lippen schmollen, wie die eines Kindes.
Auf einmal bin ich der Böse? Warum macht es einen zum Sündenbock für alle, wenn man einfach nur versucht neutral zu bleiben?
Einen großen Teil im Bericht auszulassen, würde keinen Schaden verursachen, da das Problem gelöst wurde. Verdammt, 505 hätte nicht mal geschickt werden sollen, für dieses kleinliche Drama. Die I'mprints und das Duoverse hatten damit nichts zu tun. Was die Legion nicht weiß, kann ihnen nichts anhaben, oder?
Die Stille hängt in der Luft für was sich, wie eine Ewigkeit für das Paar vor mir, anfühlt. Sie endet, als ich mit zwei Fingern das Terminal an meinem Hals berühre und das Senden eines ausführlichen Berichts bestätige. „Die Legion hat keine Zeit herumzualbern, wie Ihr zwei es tut. Ich habe genug meiner Zeit verschwendet“. Als ich aufhöre zu sprechen, sehe ich, wie das Paar auf eine blinkende Benachrichtigung in ihren IIs reagiert. Bevor ich komplett aufgestanden bin, hat Katherine sich auf mich gestürzt, die Distanz zwischen uns sofort beseitigt und schlägt mich mit ihrer starken Cyborg-Hand.
„Fick Dich, Wolf. Kriech zurück zu Deinem Rudel!“ Das resultierende Stechen tut weh, aber ist nichts im Vergleich zu dem was sie mit einem Faustschlag hätte tun können. Valdie ist auch aus einem Stuhl aufgestanden und wedelt mit seinen Händen vor seiner Brust.
„Sie hat es nicht so gemeint! Du musst nicht-„
"Angriff auf einen Legatus!?“ Katherine war auf halben Weg zu der Tür, als sie sich auf der Stelle dreht und mich böse anstarrt. Ihr ganzer Körper zuckt vor Wut über die Benachrichtigung, die nur sie sehen kann.
„Die ist automatisch, dank deiner teuren Cynets“, bestätige ich. Ein Chor von Beleidigungen folgt, als Katherine mit ihrer Handfläche auf den Ruf-Knopf des Aufzuges schlägt. Wenn sie vernünftig ist, wird sie direkt in die Kaserne gehen, um sich zu stellen, wie von ihren IIs vorgeschlagen. Sechs Monate ist die Mindeststrafe, diese wird sich jedoch erhöhen, wenn sie etwas weiteres dummes tut.
„Ihr beide könnt in der Hölle verrotten! Ich habe Dir gesagt, dass Du nicht die Legion anrufen sollst, aber Du wolltest einfach nicht hören! Wenn ich rauskomme, wird mein Debüt davon handeln, wie erbärmlich Du bist!“ Im Aufzug verwandelt sie sich in den Cheshire Kat Duotar und drückt einen Knopf. Das letzte was ich von ihr sehe, ist eine Vollkörper Geste von dem, was sie von mir denkt, beide Mittelfinger hoch in der Luft, als sich die Fahrstuhltüren schließen und ich alleine da stehe, in unangenehmer Stille mit Valdie.
Mein Kindheits-Idol, Valdie. Er starrt auf die Fahrstuhltüren mit Tränen, die sich in seinen Augen bilden. Als ich mich auf den Weg mache und denselben Ruf-Knopf leicht drücke, ruft er nach mir. „Legatus!“ Tränen ersticken den Rest des Satzes. Ich drehe meinen Kopf zur Seite, schaue ihn aber nicht wirklich an. „Danke für Deinen Dienst!“
Als ich in den Fahrstuhl trete, kommt ein beruhigter Seufzer über meine Lippen, als ich den Knopf für die 4te Parkebene drücke und mich umdrehe, um Valdie Lebewohl zu sagen. Er hat sich bereits von mir weggedreht und berührt eine andere Kachel an der Wand. Es öffnet sich um eine einzige Flasche mit dunkler Flüssigkeit zum Vorschein zu bringen. Sieht teuer und alt aus. Dreißig Jahre, wenn meine Detektivinstinkte verlässlich sind.
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Das Leben eines Legatus hält sich in der Regel an keine feste Routine. Es ist 8 Uhr Abends - 5 Tage seit dem langen Tag, den ich damit verbracht habe, von Kat getäuscht zu werden. Ich marschiere über die Flure von Wohnheimgebäude 13 - meinem Zuhause. Das 71ste Stockwerk ist wo ich, wie viele andere von der Legion, zwischen den Arbeitszeiten Pause mache. Die Nacht war soweit Routine. Ich jagte ein I'mprint, welches von einem reichen Idioten in seine teure Sex Puppe geladen wurde. Er war ihr erstes Opfer. Ein paar Blutergüsse übersäen meinen Bauch und meine Brust, sowie ein stetiger Fluss von Blut, welcher mein Hemd befleckt, während es aus meinem Mundwinkel tropft. Dicke Oberschenkel retten Leben, aber wenn sie aus Stahl sind, können sie dich wirklich zum Kreischen bringen. * *
Was mich aus meiner Routine bringt, ist eine kleine lila Box, die kurzerhand vor meiner Tür stehengelassen wurde. Ich nehme sie hoch und gehe in mein Apartment, als die Tür sich im Zuge meiner Ankunft öffnet. An der Seite klebt eine Karte, die ich aufklappe und sorgfältig durchlese.
Legatus,
nochmal Danke für Deine Mühen gestern.
Ich habe von dem Praetor gehört, dass du zwei Dinge liebst.
Ich hoffe dies wird diese Welten zusammenbringen.
Genieße es, solange du kannst
und kommt heute Abend vorbei für einen richtigen Drink!
Valdie.
Gestern, frage ich mich. Es muss eine Weile gedauert haben, dass das hier ankommt. Oder er hatte einfach für ein paar Tage vergessen es loszuschicken. Unabhängig davon, zwei Dinge? Ich starre verdächtig auf die Box und wundere mich was es sein könnte. Was denkt der Praetor was ich mag?
Ich hole ein Messer aus meiner Werkzeugkiste und durchtrenne vorsichtig das Klebeband, das die Oberseite der Schachtel geschlossen hält. Ein Hauch eines vertrauten Duftes bringt sofort beruhigende Erinnerungen in meine Gedanken. Gin? Sie kennt mich ja doch! Ich bringe die Box rüber zur Küchenzeile und klappe sie auf, in der Erwartung einer teuren Flasche. Was mich stattdessen begrüßt, ist ein Durcheinander von stacheligen grünen Blättern, die sich bis zu den Rändern ihres violetten Gefängnisses wölben. Ich reiße alle vier Seiten der Box auf um das ganze Geschenk zu sehen und finde heraus, dass ich einen winzigen Baum in einem pechschwarzen Topf mit Erde bekommen habe. Ein in der Erde steckender Plastikstreifen verrät mir, dass es eine Juniperus Communis Compressa ist - ein Zwergwacholder.
Ich starre ungläubig für eine Minute, bevor ich endlich darüber nachdenke zu recherchieren, was so ein gesunder Baum wie dieser wohl kosten würde.
Huuuuhh!? Das ist mehr als ich in einem Jahr verdiene! Mehr als einige ihr ganzes Leben verdienen!
Ich bringe den Luxusartikel rüber in mein Schlafzimmer und öffne einen großen schwarz-roten Safe neben meinem Bett. Darin sind drei weitere Pflanzen, alle luxuriös auf ihre Art, dennoch nichts im Vergleich zu ihrem neuen Mitbewohner.
Über die Jahre habe ich für viele unglaublich reiche Personen gearbeitet. Aus diesem Grund, hat ein Detektiv der von Gehalt zu Gehalt lebt und kaum seine Trink- und Unterhaltungsgewohnheiten unterstützen kann, irgendwie eine Horde von Reichtum an Zimmerpflanzen erworben. Eine Grünlilie, englischer Efeu und sogar ein unbekannter Farn sind gemütlich in eine kleine Schachtel gepackt.
Während der Tageszeit schlafen sie im Dunkeln, geschützt von der schädlichen Strahlung, die unser billiges Apartmentgebäude nicht vollständig abblockt. Der kleine, mit Blei ausgekleidete, Safe nennt sich Black House und wird von Narren, die sich dazu entscheiden haben Pflanzen zu halten, obwohl sie nicht in einem dazu geeigneten Zuhause leben, genutzt. Narren wie mir. Bei Nacht, baden kleine LED Solarlichter diese in Ernährungsphotonen, die es ihnen erlauben zu wachsen. Dieser umgekehrte Tag- und Nachtzyklus lässt mich ihre luftreinigenden Eigenschaften tatsächlich genießen, ohne Gefahr zu laufen, dass wenn ich lange auf der Arbeit bin und nach Hause komme, diese tot durch Verbrennungen oder Mutationen vorfinde.
Als ich meine erste geschenkt bekam (eine kleine Efeuranke), sah ich es mehr als eine Last als alles andere, aber nichtsdestotrotz habe ich mein Bestes gegeben um sie am Leben zu halten. Ich musste die gesamte Ausstattung kaufen, um es zu erhalten, und meine Routine so anpassen, dass jeder Morgen an dem ich daheim war, damit begann es zu verstecken.
Irgendwie muss der Fakt, dass ich es geschafft habe diese am Leben zu halten, herausgekommen sein und mehr und mehr meiner Klienten entschieden, dass ich wohl Pflanzen lieben musste. Die Alkoholquelle ist eingetrocknet und ich habe stattdessen ein Vermögen für gereinigtes Wasser und eine stetig wachsende Sammlung von LEDs ausgegeben. Trotz meiner besten Bemühungen, das Leben eines Legatus hält sich an keine Routine und so sind mehrere verstorben, als ich längere Zeit von Zuhause ferngehalten wurde. Hatte Praetor Chroma den Leuten erzählt, dass ich Pflanzen mochte? Das zweite muss Gin gewesen sein. Das liegt sie wenigstens richtig.
Als ich die bereits 23cm große Pflanze an mein 30cm hohes Black House halte, wird mir klar, dass noch eine weitere Erweiterung erforderlich sein wird. Da geht mein gesamtes entbehrliches Einkommen für diesen Monat drauf... Ich schätze ich werde das Angebot von Valdie für einen Drink annehmen, solange ich kann.
Nur, dass sich dies als Unmöglichkeit herausstellt. Ich komme nur bis an den äußeren Parkplatz neben von Valides Apartmentturms. Die Plätze sind überfüllt mit Autos und um das Gebäude herum ist eine riesige Menschenmenge der gleichen Leute, die im Lagerhaus waren. Weit mehr, und im Freien, da die Sonne bereits untergegangen ist. Als ich langsam vorbeifahre, sehe ich mehrere zu unterschiedlichen Zeiten zu dem Gebäude hinüber gehen, um Blumen, Kerzen, und unterschriebene Notizen vor einem großen virtuellen Denkmal des Mannes zu platzieren, für den ich gekommen war, um mit ihm zu Trinken. Er streckt seine Arme aus, lacht und verbeugt sich ein letztes Mal vor seinem Publikum.
Sie halten eine Mahnwache für den Komiker ab, der sich vier Tage lang durchgehend betrunken hat und dann aus seinem Fenster getreten ist. Mein Kindheits-Idol Valdie. Zweimal blinzeln lässt Valdie verschwinden und zeigt mir das Stockfinstere der Republik bei Nacht. Der Boden wird nur von Kerzen erhellt, die seine Fans am Fuß seines virtuellen Bildes hinterlassen haben. Dieses flackernde Licht offenbart den schmutzig grauen Zement, der mit jahrelangem Schmutz bedeckt ist. Ein blass weißer Fleck ist genau dort sichtbar, wo der Mann im Duoverse, immer noch aufrecht steht. Die Reinigungsroboter hatten hart geschrubbt, um sein Eingeweide herauszubekommen. Die einzige Erinnerung daran, dass Valdies Körper genau an dieser Stelle auf dem Boden aufgeschlagen war. Die Stelle, an der seine Fans jetzt standen, um Selfies mit seinem virtuellen Wandbild zu schießen.
Den letzten Anruf hab ich wohl verpasst…
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Wortwitze:
* "I'd rather check out the warehouse first and see if I can find anything myself."... "Can't wait! Don't WEAR yourself out, out there!"
** Thick thighs save lives, but when they're made out of steel, they can really make you squeal.
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Translators: Sherbal, Arina, Ann
Proofreader: Drawn
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