Interim 1: Ein Echo
„Warum hast Du das I'mprint getötet?“ fragt eine tiefe, herzliche Stimme, während ich weiter in dem Notizbuch kritzele.
„Getötet? Ich habe nur eine Festplatte zerstört...“ antworte ich gleichgültig, Augen fokussiert auf die Aufgabe. Das leise Summen eines Computerlüfters und das Kratzen eines Füllers auf Papier sind, für einige Momente, die einzigen Geräusche im kleinen Raum.
„Aber es hat nichts falsches getan. Hättest Du nicht einfach damit reden und es beruhigen können? Es sanft herunterfahren?“
Ich lache, lege den Füller in das Buch und schließe es.
„Es ist ein I'mprint, Canis. Was ist der Unterschied dazwischen es herunterzufahren oder seine Festplatte zu zerbrechen? In jedem Fall, ist es weg und leidet nicht mehr in einer verdrehten Gestalt.“
Professor Canis starrt in meine Augen, unbeeindruckt. Sein kurzer, brauner Haaransatz verblendet mit den Koteletten und Bart nahtlos. Diese goldenen Augen, eingerahmt von einem Wirrwarr aus braunen Locken, brennen sanft wie ein weit entfernter Stern. Seine schmalen Lippen sind fast unsichtbar in dem Wirrwarr von einem Bart. Da ist ein Hauch von Emotionen, aber ich kann es nicht richtig einordnen.
Nicht Wut. Nicht Enttäuschung.
„Was würdest Du wollen, das ich mache? Es ausschalten und es zu einer Farm
außerhalb der Stadt bringen? Ich dachte Du wärst ein großer Junge.“
Er reagiert nicht auf mein Verspotten, er hält meinem Blick so lange stand, dass ich mich wieder meinem Notizbuch zuwende.
„Ist das wie Du jedes I'mprint behandelst?“ Ein Schauer läuft meinen Rücken herunter und ich stocke, mitten im Wort.
„...Besser als dass ich sie leiden lasse, denkst Du nicht? Sie sind Eigentum, gehö-“
„Sie sind kein Eigentum!“ Seine dröhnende Stimme hallt durch den Raum. Ich drehe mich zu ihm um und entdecke ein verzerrtes Knurren, anstelle des üblichen spöttischen Grinsens.
„Ich schalte es aus. Ich bringe es her. Was passiert schon? Es wird als Beweismittel registriert und wartet dann auf die nächste Apokalypse, die uns alle auslöscht. Du magst es als eine Art Schlafengehen romantisieren, aber was ist, wenn es tatsächlich die Hölle ist? Würdest Du den menschlichen Geist zur ewigen Existenz als Briefbeschwerer verurteilen?“
Sein Gesichtsausdruck wird weicher, als er sich gegen die
Wand lehnt und mit den Fingern einen lustlosen Rhythmus klopft. Vertraut.
Gemütlich. Ich habe nie gefragt was es ist.
„Es muss nicht so sein“
„Es ist so. Du bist der mit den Ohren des Praetoren. Jammere über
Computerprogramme bei denen.“
Er greift nach den Blättern einer roten Pflanze, die über dem Tisch hängt aber
stoppt in letzter Sekunde. Er kann die Spannung in der Luft fühlen, während
seine Fingerspitzen nur wenige Zentimeter von der Pflanze entfernt schweben.
Wenn ich Fingerknöchel hätte, wären diese weiß vor Anspannung. Meine eigenen
grauen Augen haben sich gespannt wie eine Bogensehne. Die Hand senkt sich in
einer methodischen Bewegung, die Spannung fällt mit ihr ab. Ich seufze sanft
und kehre zu meinem Notizbuch zurück.
„Ist dies Deine neue Wohnung? Sie ist kleiner als die letzte.“
Seine Augen wandern über die Einrichtung, nehmen jedes Stück einzeln auf, geben
aber keine klare Meinung ab. „Wie hast Du es geschafft, an Blumen zu kommen?“
„I'mprints jagen.“ Seine Augen verengen sich, dennoch fahre ich ohne Scham
fort. „Eine Menge von reichen Leuten haben ihre Probleme mit ihnen. Sie sind
diejenigen, mit den Billionen Dollar Sexspielzeugen und Armeen aus Sicherheitspersonal
bestehend aus ihnen. Es wird gut bezahlt.“
„Blutbeschmiertes Geld...“
„Code Geld“ korrigiere ich. „Kabel Geld, Komponenten Geld. Sie sind nicht
menschlich. Gerade Du solltest das wissen.“
Scham. Im Gegensatz zu mir kann er es fühlen. Es wird gut dafür gesorgt, das
aus der Legion heraus zu trainieren und es in der Auxilia auszurotten.
Sympathie, die kann ich fühlen. Zurück zum Notizbuch.
„Was für eine Bestrafung hat der Junge am Ende bekommen?“ fragt Professor Canis.
Ich drehe mich nicht zu ihm, murmele ohne zu denken.
„Das Übliche bei Straftaten von Minderjährigen. Vorzeitige Wehrpflicht. Er
sollte inzwischen fast ein Bürger sein. Ich hoffe er hat etwas daraus gelernt.“
Stille füllt den Raum erneut. Die Lüfter des Computers drehen sich stärker und
füllen die tote Luft. Etwas muss gerade ein automatisches Update gestartet
haben.
„...Du bist erst seit 2 Jahren ein Legatus.“ Canis stellt dies als eine
Tatsache fest, aber definitiv in einem fragenden Ton.
„Was ist dein Punkt? Ich mache einen besseren Job als die meisten. Ich habe
eine 98% Aufklärungsrate.“
„Es wird noch eine ganze Weile dauern, bevor das Kind ein Bürger sein wird.“
„...“ Ich sehe den Professor an, seufze und lasse meinen
Kopf zur Seite fallen. „Offensichtlich erinnerst Du Dich nicht an die Ausbildungszeit.
Oder vielleicht bist Du schon so alt, dass es damals anders war. Wir betrachten
einander als Bürger wenn wir das erste Jahr überleben. Danach ist es nur noch Rechtssache.“
Er nickt und macht ein „hmmm“ Geräusch, als der darüber nachdenkt. „Denkst Du
immer noch, dass die Strafe nicht genug für ihn war?“
„Huh...?“ Ich denke an die Legatio zurück und kann nicht verstehen was er
meint. „Wann habe ich gesagt, dass seine Strafe nicht hart genug sei?“
„Du hast ihn beinahe in einen Fahrstuhlschacht herunterfallen lassen, Kleiner.
Du hast irgendeinen anmaßenden Mist über Richter und Vollstrecker erwähnt, und
wie die Republik mit Verbrechen gegen I'mprints vorgeht.“
„Oh...Das ist ein einfaches Missverständnis. Ich denke, ich bin ein besserer
Legatus als Schriftsteller.“ Ich gähne, strecke mich und nehme einen großen
Schluck von dem Wasser auf dem Tisch, bevor ich weiter mache. Professor Canis
wartet in perfekter Stille, unbeeindruckt von meiner Dramatik. Etwas weniger
animiert, fahre ich fort. „Das Kind verdient es bestraft zu werden. Was er und
seine Freunde getan haben, war widerwärtig. Die Legion wird ihn herrichten oder
ihn brechen, indem sie es versucht. Der wahre Verbrecher ist das Mädchen.“
„...Das I'mprint?“
„Das echte Mädchen. Sie kopierte ihr eigenes Bewusstsein. Setzte es in die Welt
hinaus. Es stellte sich heraus, dass sie den originalen Code verkauft hat, um
gehackt zu werden, und zu vergessen, dass es ein I’mprint ist.“
„Was war ihre Bestrafung?“ Der Professor kann seine
Neugierde nicht zurückhalten und beugt sich vor, als er fragt.
„Nichts.“
„Nichts?“
„Nichts.“ Ich lasse es für einen Moment in der Luft verweilen, der Köder bringt
Canis aus seiner Komfortzone heraus.
„Nun sag es mir endlich. Es ist kein Puzzle ohne alle Teile, Du kleiner
Scheißer.“ Er kichert ein wenig, versucht es jedoch zu unterdrücken. Es ist
selten, dass ich etwas weiß, wovon er keine Ahnung hat. Noch weniger, dass es
ihn kümmert.
„Das Mädchen wurde eine Frau, die Frau wurde eine Leiche. Sie ist vor mehr als einem
Jahrzehnt gestorben. In den Ruhestand gegangen in einem großen Herrenhaus. Eins
von diesen, die ein eigenes Gebäude sind. Offenbar hat sie in ihren frühen
20ern einen großen Betrag fürs „Modeln“ erhalten. Sie hat gut investiert und
musste nie wieder arbeiten.“
Das Gesicht des Professors verkrampft sich. Diesen Gesichtsausdruck kann
einfach lesen. „Du bist enttäuscht? Wolltest Du etwas mit etwas mehr Abschluss?“
„Das Leben hat selten Abschluss. Ich bin von dem Charakter enttäuscht, nicht
der Geschichte.“ Das Klopfen an der Wand ist wieder da.
Er denkt zu viel.
„Am Ende, hat sie das meiste ihres Geldes an Wohltätigkeitsorganisationen
gespendet, die Frauen helfen, aus missbräuchlichen Situationen zu entkommen.“
Das Klopfen hört sofort auf, aber dann beginnt der Computerlüfter wieder
schneller zu werden, noch mehr als das letzte Mal. „Hier ist Dein letztes Stück
des Puzzles. Obwohl die einzige Person die es lösen kann, fort ist.“
Er bleibt still, Augen ohne Fokus, als er über die
Geschichte nachdenkt. Es ist nicht so, als ob er es nicht bereits zusammengefügt
hätte. Er ist viel zu klug dafür. Er grübelt über einen Gedanken , der sich
verselbstständigt hat . Ich schreibe weiter in meinem Buch. Das angenehme
Geräusch, der sich drehenden Lüfter und des Kratzens des Füllers, beruhigen
mich.
Als er wieder spricht, ist es viel leiser als zuvor. Der Berg eines Mannes
findet einen höheren Wall.
„Denkst Du das I'mprints von Natur aus schlecht sind?“
„Nichts ist von Natur aus schlecht“, antworte ich direkt, halte daraufhin
sofort an, und überlege mir vorsichtig meine nächsten Worte. „Es liegt darin
wie die Technologie verwendet wird... und daran, dass man weiß, wie man ein
I'mprint von dem Original unterscheidet.“ Die Stille, die daraufhin folgt,
wiegt auf uns beiden für zu lange und ich fahre fort ohne wirklich
nachzudenken. „Ich habe einmal gehört, dass ein Märtyrer sie als Geister
beschrieben hat, die von den bösen Megacities im Limbus gefangen gehalten werden.
Ich bin mir sicher, dass Du zustimmst, dass dies eine dumme Analogie ist. Ich
sehe sie mehr als Echo. Eine Reflektion von dem Original, die fast identisch
ist, aber nicht ganz. Sie zerfallen mit der Zeit und irgendwann müssen sie, zu
ihrem eigenen besten, heruntergefahren werden.“
„... Ich sollte zu Felly, nach Hause gehen.“ Traurigkeit. Ich habe einen Nerv
getroffen. Nicht, dass ich nicht darauf abgezielt hätte, um ehrlich zu sein.
„Sicher, dass Du nichts trinken willst? Ich habe diesen Whiskey gefunden, den Du
magst. Dieser alte von dem Du meintest, dass er billig gewesen sei. Es ist
nicht so, als ob sie nicht warten-“
„Gute Nacht, Kleiner.“ Er dreht sich um, um zu gehen und ich verabschiede mich
von ihm, der Hauch von einem Lächeln auf meinen Lippen. Sobald er gegangen ist,
ist das Lächeln verschwunden. Die wirbelnden Lüfter des Computers beruhigen sich
endlich und kehren zu ihrem Grundrhythmus zurück.
Zurück zur Geschichte.
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Translator: Ann
Proofreader: Drawn
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