Kapitel 2: Min Headroom
Inhaltswarnung:
Erwähnung von Selbstmord, Emotionale Misshandlung, Kindesvernachlässigung
„Wir können das zusammen durchstehen". Die Stimme eines Mannes schallt in meinem Gedächtnis. Es ist eine beruhigende Stimme. Etwas rau wie meine, aber tiefer und stärker. Ein Pflug, der durch einen Schneesturm schiebt. Mein Nacken und meine Brust bewegen sich, bei dem Versuch mich im Bett aufzusetzen, aber der Rest meiner Anatomie gehorcht mir nicht. Sie sagten mir, dass ich meine Beweglichkeit und mein Gefühl verliere. Sie lagen falsch. Ich verlor meine Beweglichkeit, Stück für Stück, aber das Gefühl hatte sich nur geändert. Zuerst waren da dicke Socken an meinen Füßen, Ofenhandschuhe an meinen Händen, schließlich bedeckten Lagen von dicken Winterklamotten meinen ganzen Körper bis zur Brust. All das war nun mit Elektrizität und Feuer geladen. Ein starker Schmerz, den ich erlebe, soweit ich mich zurück erinnern kann. Krämpfe, dachten sie zuerst, dann Anfälle. Jetzt war es konstant und unaufhörlich.
Ich schaffe es nicht mich aufzusetzen, aber ich stöhne vor Schmerz durch den kleinen Anschein von Bewegung. Die Arme des Mannes sind auf meinen Schultern, ziehen mich nach vorne und richten die Haufen an Decken hinter mir, um mich zu stabilisieren. Feuer in meinem Bauch und Galle in meiner Brust. Ich beiße die Zähne zusammen und ertrage es, damit ich ihm in Augen sehen kann. Hellblau, so blass, dass sie fast grau sind. Meine eigenen braunen Augen kommen von der anderen Person im Raum. Sie, sie steht an der Tür und schaut nach draußen in die Ferne. Sie dreht sich um, um mich einen Moment lang anzusehen, hält es nicht lange aus und wendet sich wieder ab nach draußen.
„Nimm dir den Stuhl, Schatz". Der Mann gibt sein Bestes um zu lächeln. Ich versuche das Gleiche zu machen, aber fletsche die Zähne in leisem Leiden. Diese hellblauen Augen sind Seen, jeder mit einem Damm der eine Flut zurückhält, welche er nie über mich hinweg spülen lassen würde. Später werden sie zerbersten und einen Wasserfall freisetzen. Nicht jetzt, nicht vor meinen Augen. „...Schatz?" Er dreht sich endlich von mir weg, um zu ihr zu schauen, aber sie ist bereits fort.
Er hat vergangene Nacht nicht gesehen, wie sie ihre Taschen packte. Hat sie nicht gehört wie sie tagelang Vorbereitungen machte. Hatte nicht bemerkt, dass sie keinen von uns mehr ansah. Nur durch uns. Nach draußen. „Wir werden… das zusammen durchstehen ".
…
Ich schreie vor Schmerz, während ich schnell aus meinem Bett rolle. Auf meinen Füßen verharre ich in einer soliden stehenden Position, Füße und Arme beide kerzengerade, während der Schmerz in Schüben über mir einbricht. Es ist so qualvoll, dass meine Sicht weiß geworden ist und ich in einem leisen Schrei erstarrt bin. Zu schmerzhaft zum Atmen, geschweige denn zu reden oder sich zu bewegen. Vermutlich nur Sekunden, aber sie fühlen sich wie Stunden an, ehe der Schmerz wieder abnimmt. Das Beben meiner Brust alarmiert mich zu dem Fakt, dass ich kurzatmig bin, also beginne ich wieder die Kontrolle über meine Lunge zu bekommen.
Drei Mal ein, drei Mal aus. Sechs Mal ein, sechs Mal aus. Die Zahlen steigen höher, bevor ich sie senke, um tiefere Züge zu nehmen. Ein, 1, 2, 3, 4, 5, 6, aus 1, 2, 3, 4, 5, 6. Ich öffne meine Ils.
Nichts als Dunkelheit, während die Ils im Schlafmodus sind, so wie ich es sein sollte. Ich blinzele zweimal und sehe die Umrisse von einer Sicht. Hier gibt es keine physischen Lichter, welche man anmachen könnte. Der Raum ist leer, so wie er sein sollte, außer der paar Pflanzen welche, für Wasser und Nährstoffe, auf mich angewiesen sind. Meine Atmung wird langsamer und tiefer, als der Schmerz nachlässt. Ein Blinzeln meiner Ils lässt den Raum lebendig werden, rotes und violettes Licht erleuchten die Duoverse Version meines Schlafzimmers. Wieso Licht verschwenden, wenn wir es nicht sehen? Meine linke Hand erhebt sich in einem perfekten Bizeps-Curl, um in meinem Sichtfeld aufzutauchen. Sachte öffne und schließe ich meine Finger, sehe dem Metall dabei zu, wie es meinen Befehlen Folge leistet.
Ich werde das durchstehen, so wie immer.
7 Uhr morgens, bemerke ich, als ich auf einen meiner drei Computer Terminals auf meinem Schreibtisch sehe. 3 Stunden sind besser als nichts. Ich trete um mein Bett und drücke einen Knopf auf meinem Schreibtisch, um es auf meine Standhöhe zu bringen. Ich greife nach vorne und berühre die Luft wo mein Monitor sein würde, wenn er in der Realität existieren würde, und er schaltet sich ein. Eine virtuelle Tastatur und mehrere Terminals erscheinen auf meiner Arbeitsfläche. Alles was ich tun muss, ist auf das Nachrichten Icon zu schauen und daran zu denken und das Fenster öffnet sich, und benachrichtigt, dass ich 4 Sprachnachrichten und 99+ Textnachrichten habe. Verurteil mich nicht. Ich gedeihe im Chaos.
Weiter unten, rot hervorgehoben, ist die Nachricht des Legion HQ. Eine neue Legatio ist vor 3 Stunden eingegangen. Nicht, dass ich überhaupt irgendwas zu tun hätte. Ich klicke auf die Nachricht und lese die Einsatzeinweisung. Neben den Missionen, welche einem Legatus direkt individuell zugeteilt werden, wird von Legati erwartet, dass sie ihre eigenen Legatio oder Missionen annehmen, um sich zu beschäftigen. Diese hier, welche in den frühen Morgenstunden gepostet worden ist, kam vom Praetor der Bildung. Überraschend, dass kein anderer Legati darauf aufmerksam geworden ist. Sie lieben es normalerweise denen mit Macht zu dienen. Da winken häufig Belohnungen.
Während ich den Bericht lese, verstehe ich, warum dieser unbeantwortet blieb. Erwartest du echt, dass ein Legatus, der sich selbst respektiert, zur Sekundarschule geht? Ich grübele. Ich würde lieber wieder schlafen gehen, und das ist schon ein Albtraum an sich. Eine kleine Benachrichtigung erscheint außerhalb des Terminals, direkt in meine Ils.
Ich nehme an Du bist interessiert daran, den Praetoren zu dienen?
-Chroma
Ich knurre ein besonders gereiztes Seufzen, als Antwort darauf. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mehr Erfahrung mit gefährlichen Missionen habe, als jeder andere Legati ohne Untergeordnete. Nichtsdestotrotz bin ich erst seit 2 Jahren in dieser Position und dadurch noch der Frischling in unseren Rängen. Ich verstehe nicht warum unsere Praetor, Chroma, sich die Mühe macht, mich mit jeder langweiligen Mission die sie finden kann, zu foltern, und offensichtlich einen Alarm eingerichtet hat, um zu sehen wann ich Benachrichtigungen checke, aber ich sehe auch keinen Weg aus der Sache rauszukommen.
Ich ziehe meine Hose an, binde ein Gürtel um sie, und befestigte mein NetJack vorne daran. Darauffolgend stelle ich meine Pflanzen weg für den Tag, bevor ich endlich stoppe um dem Befehl in Stille zu protestieren. Es braucht nur einen mentalen Gedanken und der Berührung meines Halses mit 2 Fingern, um die Mission anzunehmen. Daraufhin verschwindet die Nachricht von Chroma, als ob sie nie dagewesen wäre, in gewissem Sinne war sie es auch nie.
Anscheinend gehe ich zur Sekundarschule. Meine Eltern wären so erfreut…
**********
In diesem Fall muss man das Haus nicht verlassen, um zur Schule zu gehen. Eigentlich muss ich nur die Zugriffsdaten, welche ich von der Legion erhalten habe, benutzen, um Zugriff auf das Intranet Duoverse der Schule zu erhalten. Aber die Schule beginnt erst um 8:15 Uhr, also habe ich noch ungefähr eine Stunde totzuschlagen. Frühstück, bestätige ich, als ich das Übliche von der lokalen Geisterküche bestelle.
Es braucht 15 Minuten, meine Ils entschuldigen sich für die Verspätung, aber versichern mir, dass das Essen draußen wartet. Ein Glas gereinigtes Wasser zugesetzt mit Entzündungshemmern als Anfang. Ich kippe die Lösung runter, und spüle direkt mit einem Schluck schwarzem Kaffee nach. Das Brennen der Säure wird durch das Brennen der Hitze abgemildert, aber zumindest ist meine Medizin unten und ich kann mir Zeit für den Rest nehmen. Eine volle Tasse schwarzen Kaffee und ein hochqualitativer Proteinriegel. Der biologische Teil meines Körpers benötigt nur wenige Kalorien, und die Cynet-Teile haben schon während meines Schlafs geladen. Der erste Bissen bringt mir ein Lächeln ins Gesicht. Schokoladen und Kokos Geschmack heute. Man sagte mir, sie schmeckten wie die echten Produkte, nicht dass ich einen Vergleich hätte.
Am Schreibtisch sitzend, öffne ich die Akte, die erschien, als ich akzeptierte und beginne mich genauer mit dem Fall auseinanderzusetzen. Vier Schüler begingen in genauso vielen Monaten Suizid. Alle vier gingen auf dieselbe Schule, der Pegasus Akademie für aufsteigende Jugendliche. Davon abgesehen, scheint es keine Verbindung zwischen ihnen zu geben. Drei Mädchen, ein Junge. Zwei verschiedene Jahrgänge. Sie alle hatten dieselben Lehrer, aber an unterschiedlichen Zeiten. Sie alle wohnten in verschiedenen Bezirken und keiner teilte sich dieselbe außerschulische Aktivität. Eigentlich hatte keiner von ihnen überhaupt außerschulische Aktivitäten. Das ist die einzige große Gemeinsamkeit zwischen ihnen.
Die Pegasus Akademie ist eine normale Bildungseinrichtung. Es ist eine Privatschule, so wie die meisten in der Republik, aber sie hat keine namenhaften Errungenschaften. Sie hat keine physischen Einrichtungen, wie einige der Akademien für Sport oder Kunst sie haben. Es gibt keine namenhaften Alumni oder mögliche Vorbilder in der Einrichtung, an die sich die Schüler anheften könnten. Während der Wehrpflicht bei der Legion, haben Alumni die Chance sich eine Karriere zu verdienen, aber keine große. Sie ist überwältigend durchschnittlich, aber ihre Schulgebühren zeigen dies und als Business boomt sie.
Nichtsdestotrotz, bei dieser mittelmäßigen Schule war es zweifelhaft, dass irgendwelche kriminellen Gruppen sie anvisiert hätten, auch ist es unwahrscheinlich, dass schlechte Zustände zu einer mentalen Gesundheitskrise führten. Deshalb wollten sie, dass ein Mitglied der Legion die Schule undercover infiltriert und die Schüler beobachtet, um herauszufinden, was die Suizide verursachte. Theorien beinhalteten Gewalt von Schülern, Missbrauch durch Angestellte, eine neue, bisher nicht nachweisbare Droge oder eine Art Duoverse Hack oder Virus, welcher lokal getestet wurde. Es war wegen letzterem, dass Division 505 für diese Mission auserwählt wurde.
Also, los geht's. Ich nehme einen letzten Schluck kalten Kaffee, berühre meinen Hals seitlich und bestätige das Einloggen in die Pegasus Akademie. Mein Schlafzimmer wird weiß und langsam wird meine Umgebung gefüllt, beginnend mit einem kleinen Einzeltisch im amerikanischen Stil neben mir, hinten in einem großen Klassenzimmer. Der Pulse und Shimmer des Duoverse erweckt das ganze Klassenzimmer zum Leben, Stück für Stück, zeigt es, dass ich nicht der Erste im Raum bin. Es sind immer noch 10 Minuten bevor der Unterricht startet und es sind nur ein oder zwei Kinder an ihren Plätzen. Vorne im Raum hat sich eine Gruppe von vier gebildet, welche sich aufgeregt über die Nachricht auf dem großen Monitor unterhält.
Bitte begrüßt Ater Corvus.
Ich werde von mehreren lauten, krachenden Geräuschen aus meiner stillen Wut gezogen, während ich realisiere, dass ich das Holz meines echten Tisches fast mit meinem Griff zerberstet habe. Ich lasse ihn los und nehme mir vor, mir einen neuen anpassbaren Tisch von der Legion bezahlen zu lassen und selbst nachzuforschen, wer Teenage Fulgur in Auftrag gegeben hat und wann man so freundlich war, diesen an Praetor Chroma weiterzuleiten. Ein arrogantes Lächeln, versteckt hinter einem dunklen Bart kam mir ins Gedächtnis. Erinnert mich daran dem Professor für seine Überstunden zu danken. Wenn er irgendwelche Überlebensinstinkte hat, kann er gerade einen kalten, dunklen, düsteren Schauer seinen Rücken runter laufen fühlen.
Die kichernden Teenager im vorderen Bereich der Klasse sind auf mich aufmerksam geworden und kommen zu mir nach hinten. Jeder von ihnen kichert und flüstert dem anderen was zu, mit Wörtern, die ich nicht verstehe. „Shway“, „rips“, „dreg“ kenne ich zumindest. Ich fühle mich offiziell alt. Ein Mädchen läuft vor den Rest, ihre langen weißen Haare bewegen sich rhythmisch mit jedem Schritt. Ihre dunkelrote Haut und die ungleichen großen Hörner auf ihrem Kopf, lassen sie wie einen japanischen Oni aussehen, aber sie trägt zudem ein amerikanisches Cheerleader Outfit. Sie begrüßt mich mehr Energie in ihrer Stimme, als ich jemals in meinem Körper hatte.
"Hey, Ater stimmts? Shwaaaaay Jacke! Ich bin Melissa und es ist soooo toll dich kennenzulernen". Meine Art mit dieser Begrüßung umzugehen, wird sich entscheidend auf das Ergebnis der Mission auswirken.
„Näherst Du Dich mir etwa?!" Ich stehe an meinem Tisch auf und halte meine geschlossene Faust vor mein Gesicht mit einer bedrohlichen Aura. „Ich halte diesen Arm seit 6 Jahren versiegelt. Bist Du Dir sicher, dass Du willst, dass ich seine Kraft rauslasse?!" Meine Frage schallt im Raum und auch die, die mir vorher keine Beachtung schenkten, sind nun auf meine Aufführung fixiert. Das passt zumindest zu meinem Aussehen… Vielleicht werden sie es ironisch finden?
Da ist eine schmerzliche Stille, in der zwei der Schüler lachend weggehen, jeder von ihnen reißt sich darum, diese Interaktion online posten.
„Oooookay, twip. Du kannst Deinen Arm runter nehmen. Ich wollte nur Hallo sagen, Du Freak".
Die letzten der Schüler gehen weg und lassen mich dastehen, wie das Holzpüppchen eines Shounen Künstlers. Ich seufze leise und lasse meine Arme an meine Seiten fallen, bevor ich auf meinen Stuhl sinke. Ich kann nicht behaupten, je Kinder verstanden zu haben, und der Abstand zwischen uns vergrößerte sich nur mit dem Alter.
Die erste Stunde des Tages ist grässlich langweilig. Die Kinder dieser Klasse sollten 15 sein, aber sie lernen die Art an Mathe, welche ich mit 10 bereits sicher beherschte. Ich wünschte ich könnte behaupten, ich hätte den Test ohne Probleme lösen können, aber es war eigentlich das Gegenteil. Das Unschädlichmachen der Gefahren der Gesellschaft, gibt einem nicht viele Möglichkeiten um sein Wissen in trigonometrischen Funktionen oder den Formeln in welchen sie benutzt werden, aufzufrischen. Die Unterrichtsstunde vergeht schmerzhaft langsam, nur um damit beendet zu werden, dass die Testergebnisse von jedem über ihren Köpfen erscheinen, sodass man sich gegenseitig messen kann.
Meine 12% führen dazu, dass einige zweimal hinschauen müssen und zu Gelächter aus anderen Teilen des Klassenzimmers. Sie würden mehr lachen, wenn sie wüssten, dass diese Punkte nur durch logische Schritte kamen und nicht durch eine einzige richtige Antwort oder der richtigen Anwendung von Wissen. Ich verstehe, warum diese Umgebung zu Gewalt führen könnte. Es ist nicht hilfreich, dass ich diese Schüler physisch nicht schlagen könnte, da jeder in diesem Raum nur virtuell existiert. Vielleicht hätte Shouta Fulgur sich besser in der Grundschule gemacht?
Während der Pause ist der Raum voller Trubel und Schülern, die kleine Gruppen formen und über Dinge reden, die man in ihrem Alter interessant findet. Mein Blick fällt auf eine Einzelgängerin, zwei Stühle entfernt von mir, welche durch das Fenster hinten im Klassenzimmer schaut. Sie sieht deprimiert aus, bemerke ich, wobei mein Gesicht vermutlich während des Tests ähnlich aussah. Ich bahne mir meinen Weg zu ihr, dabei muss ich mich an der Ecke meines Bettes vorbei schlängeln, die mir mit roten Umrissen angezeigt wird, als ich nah genug war um dagegen zu laufen
Das Mädchen trägt einem Duotar, welcher viel zu jung für sie aussieht. Das Oni Mädchen von vorhin sah erwachsen aus, und die meisten Schüler hier sahen eher wie 18 als wie 15 aus, aber sie hier zusammen mit zwei anderen im Raum, haben vermutlich nicht genug Einkommen um das Aussehen ihres Duotars anzupassen. Das, oder ihre Eltern bevorzugen dieses Aussehen. Pechschwarze Haare, welche sich in der Mitte teilen, eine traditionelle Schuluniform mit schwarzen Blazer und passendem Rock. Eine weiße Knopfbluse darunter. Sie hat sogar dieselben kalten grauen Augen, unangepasst von dem Basis Il Modell. Sie ist klein, vielleicht 12 Jahre alt vom Aussehen her und ich frage mich ob sie in das Aussehen reinwachsen sollte, und ob sie ihn schon länger als 3 Jahre hat. Sie schenkt mir keinerlei Beachtung, als ich zu ihr komme, stattdessen ist sie auf etwas außerhalb des Fensters fokussiert. Ich sehe nach draußen, auf die Republik am Morgen und sehe nichts außergewöhnlich Interessantes.
„Wie sieht die Stadt für Dich heute aus?" frage ich sie, während ich beobachte, wie ihre Augen zwischen verschiedenen Punkten der Skyline springen.
„Heute?" fragt sie kaum hörbar. „Da sind duzende Burgen, jede mit ihrem eigenen Aussehen. Der Himmel ist voller Monster und anderer Kreaturen. Ich könnte sie mit meiner Magie jagen...wenn ich nicht hier gefangen wäre".
Ich blinzele ein paar Mal, während ich eine DV Modding Seite durchforste. Es dauert nicht lange, um das Bild zu finden, welches sie beschrieben hatte. Mythologische Monster Mod - verwandele die Republik in ein Fantasy Game. Es lässt die Megacity nicht nur aussehen wie eine Fantasiewelt mit 3 Monden, Grass-Feldern und Türmen, welche die Gehwege und Gebäude ersetzen, sondern kann man auch Monster jagen, fangen und in sein Team nehmen, um ihre Fähigkeiten zu nutzen. Es war sehr fortschrittlich für Duoverse Mods, und nicht wirklich legal.
Beim Duoverse, hat jeder Nutzer mit Abo-Plan, die Rechte an seinem eigenen Duo Avatar oder auch Duotar. Bei Kindern unter 20 gehören die Rechte bis zum 16ten Lebensjahr den Eltern und von 16 bis 20 der Republik. Deshalb die komische Atmosphäre im Klassenzimmer, mit vielen Schülern, welche wie welche aussehen, und denen mit wohlhabenderem oder liberaleren Eltern, die aussehen wie sie wollen. Es kostet extra, wenn man das Aussehen von zusätzlichen Items wie das eigene Apartment, Fahrzeugen oder individuellen Items, nicht zu vergessen der I'mprints verändern will. Für die Teile der Welt, welche keinem gehören: Straßen, Himmel und Luftraum, erlaubt Mirari es, Mods zu installieren, welche das Aussehen ändern können. Einige sind so simple wie andere Schattierungen oder Lichteffekte, andere sind so fortschrittlich und füllen den Himmel mit fliegenden Autos, die Welt mit Tieren und Leben, oder ließen es so aussehen, als sei die Republik unter Wasser.
Das kommt nicht mal ansatzweise an die komischsten Mods von denen ich gehört habe, lieber Zuhörer. Welche, die Gebäude in Riesinnen verwandeln, Mahlzeiten in kleine Lebewesen und sogar einen Mod, der die Republik in das, von der Kritik gelobte, MMORPG Endless Escapism 14 verwandelt, mit einer erweiterbaren kostenlosen Testversion, bei der man durch das gesamte An Age Anew und die ausgezeichnete Northbound Erweiterung bis Level 60 spielen kann, ohne Begrenzungen der Spielzeit.
Die einzige Regel, die die Mod des Mädchens gebrochen hat, ist die Gebäude, welche Privatpersonen gehören, im Aussehen zu ändern. Es wird aber nicht so bald verschwinden. Harmlos, im Vergleich zu den Mods, welche das Duo anderer Benutzer mit Filtern überschrieben. Das populärste ist, nicht überraschend, ein Nacktheits-Mod, der immer wieder auftaucht, obwohl er immer rausgenommen wird.
Ich starre auf die Welt, die das Mädchen sieht, für eine Weileläanger, bevor ich zum unveränderten Duoverse zurück wechsele, und sehe zurück zu ihr. Eine ganze Minute vergeht, aber sie sieht immer noch fasziniert auf die Fantasiekreaturen, welche nur sie und die paar tausend andere Bürger der Republik sehen können. Als ich mich im Klassenzimmer umsehe, sehe ich denselben Blick bei einigen anderen Schülern;
Der Kopf von einem bewegt sich wie ein Wirbel, er spielt offensichtlich ein anderes ARG welches im Klassenzimmer funktioniert, ein anderer sitzt still, aber sein Gesichtsausdruck zeigt ab und an ein Lächeln oder ein leises Kichern - er sieht sich vermutlich etwas durch seine Ils an, einige andere bewegen lautlos ihre Münder, sie sind es vermutlich nicht gewohnt durch ihre Gedanken zu reden, während sie sich an die neue Technik anpassen, welche Teil ihrer Körper und Leben geworden ist. Es gibt nur wenige Schüler die wirklich mit anderen interagieren. Die Gruppe die vorher zu mir kam, ist der Chef unter ihnen, vorne im Klassenzimmer.
Der Mathelehrer, welcher die Schüler während der Pause im Blick behalten soll, sitzt still und ohne zu blinzeln in der Ecke des Raumes. Ich kann nur annehmen, dass er sich vermutlich von der Schule ausgeloggte, um eine persönliche Pause zu nehmen, lässt dabei die Schüler ohne Beaufsichtigung. Ich sagte, es ist eine durchschnittliche Schule. Man bekommt, was man bezahlt.
„Kanntest Du einige der Schüler, die Suizid begingen?" frage ich das abgelenkte Mädchen vor mir.
„Jemand hat sich selber umgebracht?" Sie sieht mich nicht einmal an, ihre Stimme ist emotionsloser als beim Beschreiben der Welt, die sie außerhalb des Klassenzimmers sieht. "Belastend…“ Fragt mich nicht. Es könnte gut oder schlecht sein, mit den ganzen Gefühlen die sie da rein gesteckt hat.
Selbst wenn eines der anderen Kinder meine Erwähnung von Suizid gehört hätte, so zeigen sie keinerlei Bedenken. Es scheint, dass jeder hinten im Klassenzimmer in seiner eigenen kleinen Welt verloren ist und dass sie keine Intentionen haben, mit der Schule außerhalb des Unterrichts zu interagieren. Ich beschwöre die Willenskraft, um mit einem anderen Kind zu reden, welches zwei Reihen weiter vorne sitzt, als ich einen fatalen Fehler in meinem Plan bemerke. Als ich einen Schritt auf ihn zu mache, sehe ich die Ecke meines reellen Tisches, etwas entfernt von meinem kleinen Schultisch. Während ich meine Hand hebe und nach vorne bewege, zeigt sich die Wand meines Schlafzimmers, ein dünner roter Käfig, der mich daran hindert, den hinteren Teil des Klassenzimmers zu verlassen. Erneut bricht lautes Gelächter aus und ich sehe die Gruppe vorne, welche auf mich zeigt. Ich nehme an, dass es so aussieht, als winkte ich ihnen zu. Vernichtet den Gedanken. Ich fühle mich so gesegnet, dass ich nie in diese Hölle musste.
"Hey Melissa, könnt Ihr vielleicht rüber kommen? Ich muss kurz mit Euch reden". Die Antwort die ich bekomme, ist weiteres Lachen, gefolgt von,
"Eww, habt Ihr seine Stimme gehört? So alt und falsch". Ich hätte vermutlich die fuccboi Stimme von vorhin benutzen sollen...warum lässt mich dieser Duotar nicht wie ein Teenager klingen?!
Ich kehre zu meinem eigenen Schreibtisch zurück und bereite mich vor, die Lösung meines Lehrers zu kopieren. Wer sagt, dass man nichts Nützliches in der Schule lernt? Die einzige Belohnung, die ich bekomme, war eine Nachricht, welche meine komplette Sicht versperrte.
Genieße Deinen Unterricht.
…Mehrere Kraftausdrücke kommen mir nacheinander in den Sinn, als ich mir vorstelle, was die nächsten 7 Stunden meines Lebens beinhalten. Jeder Andere im hinteren Teil des Klassenzimmers ist in seiner eigenen Welt, wohingegen die Kinder im vorderen Teil, die vermutlich einige der Kinder kennen könnten, sich weigern mit mir zu reden. Meine Missionszusammenfassung war sehr klar damit, dass ich vorgeben muss, ein normaler Teenager zu sein. Ich kann mich nicht einfach als Legatus zu erkennen geben und sie zum Antworten zwingen. Was eine Zeit Verschwendung…
Meine Augen wandern zum Fenster. Keine fliegenden Autos oder Monster. Im Tageslicht und von diesem Aussichtspunkt, sieht es weniger beeindruckend aus, als Nachts von weitem. Alles was ich sehe, ist eine Etage des Gebäudes gegenüber, welche vermutlich Apartments sind. Alle paar Fenster ändert sich das Aussehen der Gebäude drastisch, ein Block sieht aus wie eine Hütte mit getäfelten Fenstern und Gipsstein, der nächste ist moderner mit einer Wand aus Glas, durch die man einen Blick auf den leeren Wohnraum hat, danach kommt ein Teil komplett ohne Fenster, nur Stein, als ob ein Berg aus den anderen Räumen wachsen würde.
Ich kehre zu meinem kleinen Schreibtisch zurück, eine perfekte Kopie der anderen Tische im Raum. Zahllose Schüler saßen hier im Laufe der Jahre, dennoch zeigt das blasse Holz keine Anzeichen davon. Kein Kaugummi unter dem Tisch, Reste von DNA mit genetischen Signaturen, welche in die Zukunft gebracht werden. Keine Worte der Weisheit eingeritzt für den Nächsten am Tisch. Nicht einmal die kleinsten Initialen aus Tinte, die ein Lehrer nicht entfernen konnte. Wenn ich hier fertig sein würde, vorzugeben ein Schüler zu sein, würde der Nächste den Tisch genauso uniform vorfinden. Kein Zeichen, dass ein undercover Legatus hier jemals festsaß. Lässt einen richtig darüber nachdenken, wie wenig Autonomie wir den Schülern geben und wie machtlos und unwichtig man sich...
Eine schrille Klingel reißt mich aus meinen Gedanken. Alle Kinder im Raum finden zu ihren Plätzen, bevor ein weiterer Glockenschlag zur Bestätigung erklingt. Das Klassenzimmer um mich herum erzittert und verzerrt sich für einen Moment, wie eine uralte analoge Störung, und plötzlich sitzen andere Schüler auf den Plätzen und ein neuer Lehrer in der Ecke des Raumes. Anscheinend ist die Pause vorbei.
Die nächsten beiden Unterrichtsstunden vergehen genauso langsam wie die erste. Ich bin besser in Biologie, aber ich kann mir immer noch nicht die nutzlosen Informationen merken, mit denen diese Kinder gerade ihre Köpfe füllen. In Geschichte schaffe ich es, eine fast perfekte Punktzahl zu erreichen, da sie gerade über den Fall lernen. Endlich etwas mit Lebensbezug! Als wir zur Mittagspause entlassen werden, erwartet mich ein weiteres Grauen. Einige Schüler sind aufgestanden, um sich zu strecken oder sich unter die Leute zu mischen, aber diejenigen, die die Möglichkeit dazu haben, haben ihr Essen bereits hervorgeholt, weil sie schon auf diesen Moment vorbereitet waren.
Ich stehe auf und versuche, rückwärts aus meinem Zimmer zu gehen, aber der hintere Teil des Klassenzimmers ist nur zwei Schritte hinter mir. Wenn ich versuche, einfach hindurchzugehen, ertönt ein Alarm in meinem Kopf, der mich warnt, dass ich in Gefahr sei und zurückkehren sollte. Mein II-Sichtfeld ist mit reinem Rot gefüllt und der Alarm bleibt bestehen, aber ich winde mich weiter. Als ich versuche, einen weiteren Schritt zu machen, kommt ein stechender Schmerz in meinem Hinterkopf hinzu. Ich springe zurück, stoße gegen meinen Schreibtisch und bleibe mit einem Arm darauf liegen. Sie haben mir also ein Elektrohalsband gegeben. Sicherlich ein effektives Mittel, um diese Generation zu treuen Welpen zu erziehen. Es ist auch schmerzhaft genug, um einen Wolf zu beruhigen.
Als ich mich hilfesuchend im Raum umsehe, stelle ich fest, dass niemand meiner misslichen Lage Aufmerksamkeit schenkt. „Frau Lehrerin, ich muss mich entschuldigen!“ rufe ich der Frau zu, die in der Ecke sitzt. Sie legt das Sandwich, von dem sie einen einzigen Bissen genommen hat, mit einem verärgerten Seufzer weg und geht zu mir herüber. Pseudo Essen. Jemand mag es extravagant.
„Bammel vor dem ersten Tag, Corvus?“ Als sie vor mir steht, merke ich, dass sie, sowohl im wörtlichen, als auch im übertragenen Sinne, auf mich herabschaut. Für sie, müssen sich meine Augen in Höhe meiner Brust befinden. Wie klein haben die diesen Duotar eigentlich gemacht?
„Ganz und gar nicht, gnädige Frau. Mir war nur nicht klar, dass ich mein Mittagessen vorbereiten muss. Das Programm lässt mich nicht gehen.“ Unbeeindruckt verschränkt sie die Arme vor dem Bauch und scheint nicht zu verstehen, warum das ihr Problem seien sollte. „Ich habe Diabetes“, lüge ich. „Ich möchte ungern vor der fünften Stunde umkippen.“
„Du hast keine gesundheitlichen Vorbelastungen“, antwortet sie kalt und schnalzt mit der Zunge. „Ich schicke ein Entschuldigungsgesuch an Deinen Erziehungsberechtigten. Wenn sie grünes Licht geben, dann soll es so sein.“ Ich nicke nur bestätigend und hoffe, dass Chroma zumindest für das Mittagessen mit den Spielchen aufhört. „Ich habe mehr von Dir erwartet. Deine Noten bei der Prüfung waren beeindruckend. Verschwende Deine Gaben nicht wie die Doomer.“
„...“ Mein Blick schweift, bei dem plötzlichen Lob nach unten und nach links und ich überlege eine Sekunde lang, wie ich reagieren sollte.
„...Danke.“ Ich schaue auf und sehe, dass die Lehrerin bereits auf halbem Weg zurück zu ihrem Platz ist und sich von mir abwendet, während sie mich aus ihren Gedanken verdrängt. Dann wird das Klassenzimmer weiß, und ich bleibe zurück und starre schweigend auf den leeren Monitor in meinem Zimmer.
Befreit vom Gefängnis der Schule, gehe ich in mein Wohnzimmer und gebe eine die Bestellung für das Mittagessen auf. Es gibt keine Nachmittagspause, sofern ich also keinen zweiten Tag am Unterricht teilnehmen möchte, muss ich vor Ende der Mittagspause zurück sein.
Ich lebe ein einfaches Singleleben. Mein ganzes Wohnzimmer besteht aus einem einzigen bequemen Sofa, einem Tisch zum Abstellen von Dingen und einem Laufband. Das Wohnzimmer ist aber locker dreimal so groß wie mein Schlafzimmer, und diesmal weiß ich, wo ich im Klassenzimmer ankommen werde. Ich ziehe mein Sofa und meinen Tisch in die Ecke, stelle mir die Aufstellung der Tische in meinem Wohnzimmer vor und versichere mich, dass ich zwar in die erste Reihe der Klasse, aber nicht in den ganzen Raum komme. Das Laufband ist so weit am Rand, dass ich mich nicht darum sorgen muss, es sei denn, ich habe vor, irgendwann auf einen Lehrer zu treten. Das reicht. Mal sehen, ob sie mich ignorieren, wenn ich nur anderthalb Meter von ihnen entfernt bin.
Mein Essen kommt, als ich mit dem Aufbau fertig bin und ich beschließe, es schnell aufzuessen, bevor ich wieder reingehe. Ich bezweifele, dass ein weiterer Proteinriegel jemanden beeindrucken wird. Sogar die Lehrerin zahlte extra für die nachgeahmte Form des Essens. Chicken Caesar. Gar nicht so schlecht.
Als ich ins Klassenzimmer zurückkehre, fühle ich mich sofort ausgelaugt. Das leise Summen von Leuchten, das eigentlich nicht existiert. Der Duft von Lebensmitteln, die alle in Form von Riegeln oder Shakes, aber mit verschiedenen Geschmacksrichtungen angeboten werden. Das rhythmische Klacken der Nägel einer abwesenden Lehrerin auf ihrem Schreibtisch, während sie eine Zeitschrift liest. Ich komme nicht umhin, mich zu fragen, warum man sich die Mühe gemacht hat, so viele Details einzuprogrammieren, obwohl alles so fade gehalten ist.
Meine Ankunft im hinteren Teil der Klasse erregt einige Aufmerksamkeit, wahrscheinlich mehr wegen der Tatsache, dass ich überhaupt gehen durfte, als wegen meiner Rückkehr. Ich gehe zwischen den virtuellen Tischen hindurch, bis zur dritten Reihe und unterbreche ein Schülerpaar, das sich gerade über irgendwelche Boybands unterhält.
„-der Dämon ist nur ein Angeber. Ich stehe voll auf den Cyborg!“ Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das sagte, als ich mich einmischte.
„Hey, Ful-Ater. Ich bin neu... wollte nur mal Hallo sagen.“
„Fellater? Du meinst wie-„
„Kevin!“ Das Mädchen schlägt dem Jungen auf die Schulter und beide kichern kurz. Ein schnippendes Geräusch, das von den Fingern eines anderen Schülers kommt, lenkt ihre Aufmerksamkeit nach vorne und ihr Lachen verstummt augenblicklich. Ich folge ihren Blicken in der Erwartung, dass die Lehrerin auf dem Weg ist, sie zurechtzuweisen, aber stattdessen sehe ich einen Jungen, einen aus Mellisas Gruppe vom Vormittag, der sie böse anstarrt. „W- wie ich schon sagte. Der Cyborg bettelt nicht um Aufmerksamkeit. Er macht einfach sein eigenes Ding. Alle nehmen nur an, was er vorhat...“, fährt sie fort, als ich den Ton ausblende.
Ich starre den Teenager, vorne in der Klasse, noch einen Moment länger an und stelle fest, dass seine ganze Gruppe mich jetzt mit einem kleinen, verschissenen Grinsen anlächelt.
„Oi, Kevin“, sage ich, als ich mich wieder den beiden zuwende. Seine Augen zucken ein wenig, aber er tut sein Bestes, um das Gespräch mit dem Mädchen, über Boybands, fortzusetzen. „Hey“, ich versuche, meine Hand auf seine Schulter zu legen, und sehe, wie das fleischige Anhängsel hindurch rutscht und eine weitere Warnung in meinem Blickfeld auftaucht, die besagt, dass man in die Klassengrenzen zurückkehren musste. Kevin wiederum zuckt ein wenig zusammen, setzt aber sein Gespräch in einer höheren Tonlage fort.
Okay... das ist eine ziemlich beeindruckende Demonstration von Kontrolle, muss ich zugeben, während ich mich dem Jungen vor der Klasse gegenüberstelle. Er hat sich bereits wieder seiner kleinen Gruppe zugewandt, und sie tuscheln miteinander und lachen, offensichtlich über dieses kleine Spiel.
Apropos Spiele: Er sieht aus wie eine Videospielfigur. Dunkelblaues Leder und weißer Pelz schmücken seinen massigen Körper. Wenn er sich bewegt, hinterlassen seine Hände eine leichte Spur blauen Rauchs. Ich mache eine visuelle Suche und stelle fest, dass ich Park Ferrum sehe. Der Junge ist ein professioneller Gladius-Spieler. Einer der besten in der Republik mit vielen Sponsoren und Abonnenten. Sein Duotar sieht genauso aus wie im Spiel, sogar mit visuellen Effekten. Allein der Effekt wäre ein kleines Vermögen wert, obwohl er wahrscheinlich von der Spielefirma kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Wie auch immer, meine Ermittlungen sind jetzt viel einfacher.
Als ich die Adresse des Kindes auf meinen IIs abrufe, bemerke ich die Stille, die eingetreten ist, und blinzle, um meine Sicht frei zu machen. Jeder im Raum, abgesehen von der Lehrerin und ein oder zwei Schülern, die noch in ihrer eigenen Welt versunken sind, starren Kevin an.
Gemeinsam heben sie alle einen einzigen Finger, der direkt auf sein Gesicht gerichtet ist. Er wirbelt verwirrt hin und her und wendet sich schließlich, mit Tränen in den Augen, dem Mädchen zu, mit dem er gerade noch gesprochen hat. Wie aufs Stichwort brechen sie alle in hysterisches Gelächter aus. Ich traue meinen Sinnen kaum, als ich von einem Schüler zum anderen schaue. Selbst diejenigen, die ihr eigenes Ding gemacht hatten, haben sich mit perfektem Timing dem rituellen Spott angeschlossen. Die Lehrerin in der Ecke schüttelt nur den Kopf, als ob sie das alles schon einmal gesehen hätte. Ich schätze, Lachen ist nicht gegen die Regeln?
Kevin selbst hat begonnen, seine Freundin zu packen, erst an der Hand und dann an den Schultern, wobei seine Hände direkt durch ihre Gestalt gleiten. „Apricus, komm schon! Was soll der Scheiß? Wirklich, ICH!?“ Sie zuckt nicht einmal mit den Wimpern und lässt seine Gestalt unbemerkt durch die ihre gleiten. Er fleht sie einige Augenblicke lang an, bevor er mit tränenden Augen auf ihren Schreibtisch blickt.
So plötzlich wie es begonnen hat, verstummt das Lachen im Raum. Die Stille dauert etwa 2 Sekunden an, während die Finger direkt auf Kevin gerichtet bleiben. Ich strecke die Hand nach einem anderen Kind an meiner Seite aus, lasse meine Finger durch ihre Augen gleiten, aber ich bekomme keinerlei Reaktion zurück. Sie können nichts sehen... Schließlich fallen alle Hände genau zur gleichen Zeit herunter und die Schüler kehren zu dem zurück, was sie vorher getan haben. Die einzige Veränderung ist das Mädchen, Apricus, wie ich annehme, das aufsteht und sich zu einer anderen Gruppe von drei Schülern begibt, um sich mit ihnen zu unterhalten. Ein neuronaler Netzvirus? Frage ich mich im Stillen. Es war, als ob sie alle besessen wären.
Ferrum und eine Gruppe von Kindern in der vorderen Reihe lachen wieder und gestikulieren zu Kevin, dessen Gesicht ausdruckslos geworden ist. Die Pause wird jeden Moment zu Ende sein. Vielleicht ist Kevin sauer genug, dass er mir sagt, was das gerade war. Ich könnte aber auch direkt zur Quelle gehen. Ferrum und die Leute in der vorderen Reihe sind die einzigen, die sich über diese Aufruhr amüsieren. Es liegt also nahe, dass sie wissen, was vor sich geht.
Kevin starrt auf seinen Schreibtisch und schluchzt leise vor sich hin. Beinahe hätte ich meine Hand auf seine Schulter gelegt, aber ich nehme mich zurück, als ich mich daran erinnere, wie das beim letzten Mal ausgegangen ist. „Hey, alles in Ordnung?“ frage ich und gehe in die Hocke, so dass ich mich auf seiner Augenhöhe befinde. So klein wie dieser Duotar ist, bin ich in seinen Augen vielleicht sogar noch tiefer. Kevin schluchzt ein wenig, dreht sich zu mir um und schaut dann einfach weg.
„Verpiss Dich. ...Es ist Deine Schuld.“ Bringt er zwischen zwei Atemzügen heraus.
„Die Sache mit dem Lachen? Warum war das meine Schuld?“
„Die Sache mit dem LACHEN“, antwortet er mir giftig. „Das ist erst der ANFANG!“
„...Und was wird es dann? Vielleicht kann ich helfen?“
„Verpiss Dich einfach!“ Er versucht, mich wegzustoßen, ignoriert den Alarm in seinem Kopf, der durch die Schulvorschriften ausgelöst wird und versucht mich sogar nutzloserweise nach mir zu schlagen. „Ich hoffe, Du bist die Nächste, Du Freak!“
Von der Seite höre ich Ferrum wieder amüsiert kichern. Scheiß drauf, ich bin mit der Schule fertig. Zwei Finger drücken gegen meinen Hals und bestätigen, dass meine Nachricht an Park Ferrum gesendet wurde. Ich sehe, wie sich seine Augen weiten, als er den Inhalt liest, den nur er sehen kann. „Maple Estates, 84. Stock, Appartement 16. Ich komme gleich nach der Schule zu Dir, Abschaum.“
Der gleiche hohe Ton wie zuvor ertönt im Raum und eine große Warnanzeige erscheint in meinem Blickfeld.
Ich eile zurück zu meinem Sofa und gehe vorsichtig um den Tisch herum, den ich davor aufgestellt habe. Der Timer hat auf 3 heruntergezählt und sobald ich mich auf meinen Platz setze, verschwindet die Warnung. Für einen Moment kann ich sehen wie Ferrum mich erschreckt anstarrt. Mein Blickfeld verschwimmt und die Klasse sich um mich herum neu organisiert. Ich bemerke Melissa, das Oni Mädchen von heute Morgen, welches auch in der ersten Reihe sitzt. Die anderen Gesichter kenne ich jedoch nicht.
Die zweite Hälfte des Tages zieht sich genauso langsam hin, wie die erste. Ich musste da bleiben, um wie ein normaler Schüler zu wirken, aber ich bereitete mich bereits darauf vor, den nächsten Hinweis von Park Ferrum persönlich zu erlangen. Der letzte Glockenschlag ertönt, was dazu führt dass, sich der Klassenraum beginnt sich langsam aufzulösen und mein eigenes Zimmer erscheint wieder.
Ich stehe auf, strecke mich ein wenig und schalte dann einen Spiegel in meinen IIs ein, um mein jetzigen Aussehen zu betrachten. Nein lieber Zuhörer, ich werde nicht eitel oder sowas. Nach dem heutigen Tage würde ich es Praetor Chroma zutrauen, dass sie mich in diesem Shounen-Duotar zurücklässt, bis die Ermittlung erledigt war. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass sie mich, nur für ihr eigenes Vergnügen dazu gezwungen hat, einen ganzen Tag am Unterricht in einer weiterführenden Schule teilzunehmen. Vielleicht hat sie sogar die gleiche Aufnahmen wie Park Ferrum von meinem ersten Eindruck auf die Kinder. Dieser Gedanke verfolgt mich, als ich das Haus verlasse und mein Auto aus der Tiefgarage hole, während ich mich auf meine außerschulischen Aktivitäten freue.
Das Maple Estates Gebäude unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Wohnkomplex gegenüber der Schule. Von außen sieht es aus wie eine Chimäre aus verschiedenen Formen und Stilen, die alle zu einem riesigen Turm zusammengewürfelt wurden. Ich parke mein Auto auf dem Besucherparkplatz, gehe zu einem der Aufzüge und drücke den Knopf für den 84ten Stock. „Willkommen im Maple Estates. Wir hoffen dass Sie Ihren Aufenthalt genießen werden”, tönt es aus einer kleinen Box. Ich kenne jemanden, dem er nicht gefallen wird. Meine Fahrt nach oben wir von einer beruhigenden Musik begleitet, zu der ich sanft mit dem Kopf wippe. Sobald ich an dem 50ten Stock vorbei bin und weiter hinauffahre, tippe ich mit zwei Fingern an die Seite meines Halses und versetze mich in den „Predator Mode“.
Nicht ein Wort, lieber Zuhörer! Ich habe es nicht benannt! „Predator mode” vewandelt meinen Duotar in eine schwarze, humanoide Figur mit rotem Umriss und verändert meine Stimme um meine Identität zu schützen. Es gibt auch die Möglichkeiten sich lautlos zu bewegen und das Auftauchen im Duoverse vollständig zu verhindern, aber dies wird nur in seltenen Fällen autorisiert.
Das Innere der Maple Apartments sieht erstaunlich einfach aus. Cremefarbene Wände mit Goldverzierung und rote Teppiche mit weißen Blumenmustern. Das einzige Anzeichen dafür, dass es sich um eine gemeinsame genutzte Zone handelt, sind die Türen, von denen jede einen anderen Stil hat, manche wilder als andere. Nummer 16 sieht relativ schlicht aus. Dunkles Eichenholz, mit einer mattierten Glasscheibe in der Mitte. In Wirklichkeit besteht das Ganze wahrscheinlich aus einer Art verstärktem Metall, da sie jeden in die Korridore lassen, aber ich bin nicht interessiert genug, um das zu bestätigen. Stattdessen klopfe ich einfach 3-mal an den Türrahmen, sicher dass ich weder husten noch prusten muss um sie niederzureißen.
„Ja, wer ist da?“ eine Männerstimme, viel tiefer als die des Jungen, den ich sehen will, meldet sich über die Gegensprechanlage.
„Legatus der Legion 505. Ich bin hier um mit Ihrem Sohn Ferrum zu sprechen.“ Die Gegensprechanlage verstummt für einen Moment und dann ertönt das Klicken eines magnetischen Schlosses, das mich einlädt einzutreten. Ich öffne die Tür und erblicke einen Flur im viktorianischen Stil mit dunklem Parkettboden, einer Treppe nach oben zu meiner Linken und zwei Türen an der Wand zu meiner Rechten. Die Erste ist offen und führt mich in ein großes Wohnzimmer mit Erkerfenstern, die den offenen Grundriss erhellen.
In der Mitte des Raumes steht ein Glastisch, um den herum in einem halben Sechseck ein großes Ecksofa und zwei Sessel stehen. An einer Wand steht ein Kamin mit einem lodernden Feuer. Auf und um den Kaminsims stehen Trophäen, Fotos und Erinnerungsstücke einer glücklichen Familie, und ein Fernseher bedeckt den freien Teil der Wand. Ich gehe um den Tisch herum, um mir die Fotos anzuschauen, und sehe ein aktuelles Foto von Park Ferrum. In den älteren Familienfotos ist es unmöglich zu sagen welches der Kinder er ist, denn beide sehen fast gleich aus und unterscheiden sich nur in der Größe. Auf einem Bild haben die beiden jeweils einen Arm auf die Schulter des Anderen gelegt, während ihre Eltern sich umarmen und ihre Kinder aus dem Hintergrund anlächeln. Es sieht aus, als wäre es in einem Wasserpark aufgenommen worden, alle Familienmitglieder in Badeanzügen und mit einem künstlichen blauen Himmel über ihren Köpfen. Ihre Duotare in der Kindheit waren eine Mischung aus den Merkmalen der beiden Eltern. Einfach und klassisch. Das ganze Haus war ein Rückblick auf eine längst vergangene Ära.
„Legatus? Dürfte ich fragen worum es geht?“ Das Oberhaupt der Familie, Park Ji-Hoon, öffnet die Doppeltüre auf der anderen Seite des Raumes und gibt damit den Blick auf ein Esszimmer frei, an dem er mit seinem Sohn gesessen hatte. Sie erwarteten Gäste. Das Kind ist zu seinem Vater gerannt um sich auszuheulen, als es zu real wurde.
„Ferrum ist wahrscheinlich in etwas sehr gefährliches in der Schule verwickelt“, sage ich und höre ein Echo meiner verzerrten Stimme im Raum. Ferrum schaut seinen Vater an und zittert leicht als Reaktion.
„Er hat mir das bereits mitgeteilt.“ Ich neige meinen Kopf leicht zur Seite, angesichts der Lässigkeit des Vaters. „Dieser Corvid-Junge. Haben Sie ihn schon verhaftet?“ Ferrums Vater geht zurück in das Esszimmer und legt eine Hand auf die Schulter seines Sohnes. Die beiden sehen sich einen Moment lang zur Beruhigung an und dann wieder zu mir, der gesichtslosen Gestalt, die in ihr Esszimmer tritt. Er hatte ihm zumindest das Ende der Geschichte erzählt. Schade, dass er ausgelassen hat, dass er ein Teil davon ist. Es ist seltsam Park Ji-Hoon neben seinem Sohn zu sehen. Sein Duotar stellt ihn als einfachen Geschäftsmann dar. Schwarzes Haar, eine geschmeidige Figur, sogar die Falten und Lachfalten, die so wenige Menschen mit Stolz tragen. Gekleidet in ein weißes Shirt, die schwarze Krawatte hängt ihm lose um den Hals, und dazu die perfekt gebügelten Hosen, sahen die beiden aus, als kämen sie aus verschiedenen Welten.
„Corvus, und tatsächlich nein.“ Ich ziehe einen Stuhl heran und setze mich den beiden gegenüber. Ji-Hoon zieht einen Stuhl aus einer anderen Ecke heran, um sich neben seinen Sohn zu setzen. „Das Kind selbst ist nicht gefährlich, aber es geht etwas in der Schule um, das gefährlich ist.“ Vater und Sohn schauen einander ein weiteres Mal an und wenden sich dann zu mir, die Augen verengt in Verwirrung. Selbst bei so unterschiedlichen Duotaren, ähneln sich ihre Bewegungen und Mimik. „Haben Sie von den Selbstmorden an der Pegasus Akademie gehört?“ frage ich einfach. Der Vater verzieht verwirrt das Gesicht und der Sohn verkrampft sich, beide schütteln jedoch verneinend den Kopf. Ferrum ist kein guter Lügner.
“Vier Kinder haben kürzlich dort Selbstmord begangen. Ich fasse es kurz. Ferrum, warum wird ein Kind von allen Kindern der Schule gleichzeitig gemieden und schikaniert? Ist es eine Art von Neuralem-Netzwerk-Virus? Eine optische Manipulation des Duoverses? Etwas Neues?” Je näher ich der Sache komme, desto verärgerter wird Park Ji-Hoon und schließlich schlägt er mit der Hand auf den Tisch.
„Mein Junge ist niemals in so etwas abscheuliches verwickelt!“ protestiert er und starrt mich vom anderen Ende des Tisches aus an. „Warum sprichst du nicht mit diesem Corvo-Jungen? Er hat gerade heute Ferrum bedroht! Sag es ihm, Ferrum!“ Ferrums linkes Bein wackelt unter dem Tisch und er starrt in die Ferne hinter mich, zu verängstigt um die schwarze Figur anzusehen, die mehr wusste als erwartete.
„Ich weiß nicht was Sie meinen, Sir“, stottert er schließlich los. „Wenn es einen Tyrannen gibt, dann ist es definitiv das neue Kind. Er hat mich gedoxxt und meine Familie und Freunde bedroht.“
Ich seufze verärgert und wünschte halb, ich könnte mein Aussehen preisgeben, aber wenn das hier in eine Sackgasse führt, sind die weiteren Untersuchungen ruiniert. Stattdessen verbringe ich die nächsten zwei Minuten damit, durch die Datenbank meiner eigenen Erinnerung zu stöbern und ein Video vom Klassenraum zusammen zu stellen, während Park Ji-Hoons Bitten zu Gehen immer weniger höflich werden. Als ich fertig bin mit der Erstellung des Videos, verwandelt sich der Raum um uns herum in ein Abbild des Klassenraums während der Mittagspause. „Alles im Klassenraum wird aufgenommen, Park Ferrum. Natürlich nur zu deiner eigenen Sicherheit.“
Der Clip, in dem Schüler über Kevin lachen, wird abgespielt. Sobald der Teil vorbei ist, pausiere ich und bahne mir den Weg zu der aufgezeichneten Kopie von Ferrum und seinen Freunden, die sich über die Nachwirklungen erfreuen. „Es sieht so aus als ob „Ihr Junge“ der Kopf hinter dem, was auch immer in diesem Klassenraum vorgegangen ist, ist.“ Sage ich, ein Arm auf die erfreuten Gesichter der Kinder zeigend.
Der Vater sieht wieder zu seinem Sohn, diesmal jedoch mit einem anderen Gesichtsausdruck. Seine Hand ist auf dem Esszimmertisch zu einer Faust geballt, während die Knöchel weiß hervortreten.
„Papa… Es ist nicht so wie es aussieht“, bettelt Ferrum mit weniger Angst vor mir, als vor seinem Vater. „Es ist nichts gefährliches, nur eine einfache optische Modifizierung, die wir erstellt haben.”
Der Vater entspannt sich und seine Anspannung verlässt seinen Körper sofort. Sein Sohn sucht immer noch im Gesicht seines Vaters nach Hinweisen, was er wohl als nächstes tun wird.
„Machen Sie was Sie wollen, Legatus. Er hat gestanden.“
„Nein, Papa!“ Ferrum ergreift den Ärmel seines Vaters mit beiden Händen und zittert während er das schreit. „Blockier mich nicht! Ich bin dein Sohn! Es ist nicht wie du denkst! Es tut mir Leid!” Ferrum bricht neben dem Stuhl zusammen und legt den Kopf auf den Schoß seines Vaters. Sein Flehen jedoch stößt wortwörtlich auf taube Ohren.
„Sie haben ihn blockiert?“ frage ich ihn zur Bestätigung.
„Das ist der beste Weg, den ich gefunden habe, ein Kind zu bestrafen“, antwortet er nonchalant, während sein Sohn weiter auf sein Bein klopft und versucht mit ihm zu sprechen. "Ein paar Wochen geblockt von der Familie bringen sie jedes Mal zurück auf den richtigen Weg." In den Augen des Vaters existiert sein Sohn nicht länger. Er kann fühlen wie Tränen seine Hose durchnässen und eine Hand daran zieht um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber alles was er sieht ist eine weiße Gestalt, die keine Geräusche von sich gibt. Ich sehe, dass Park Ferrum nicht mehr fleht, sondern nur noch schluchzend zusammenbricht, während sein Vater sein Bein von ihm weg zieht und aus dem Esszimmer marschiert. Dabei sagt er mir nur: "Ich begleite Sie hinaus, wenn Ihre Aufgabe erledigt ist".
Ich sitze ein paar Minuten schweigend da und warte, dass das Schluchzen verstummt, aber nach fünf Minuten fühle sogar ich mich unwohl.
„Kleiner, das wird schon. Wenn es wirklich nur eine optische Modifikation ist, dann gibt es gerade mal einen Klaps auf die Hand.“ Park Ferrum wendet sich mir zu und schaut direkt in mein formloses Gesicht, als fiehle es ihm jetzt erst wieder ein, dass ich da bin.
„Es ist nur eine Modifizierung…“ wiederholt er und beginnt wieder zu weinen. “Jeder installiert es. Alle tun das. Es übernimmt nur ihre IIs –schluchz- für nur jeweils eine Minute.“ Ich habe das Gefühl, dass es noch eine weitere Stunde dauern wird, wenn wir so weiter machen, deshalb unterbreche ich Ferrum während er zum Luftholen ansetzt.
„Kannst du mir einfach die Datei zusenden?“ Sein Kopf nickt hektisch wie eine Wackelkopf-Puppe, und eine Anfrage zur Dateifreigabe geht ein.
„Bitte sagen Sie es ihm, Sir. Meinem Vater. Es ist nicht so wie er denkt. Es ist keine große Sache. “Ich versuche mein bestes Ferrum zu ignorieren, während ich sorgsam den Code durchsuche. Ich bin nicht der Beste, wenn es ums Kodieren geht, aber selbst ich hätte es geschafft so einfache Befehle und 3D Bilder, wie die in der Datei zu entwickeln. Genau wie Ferrum sagt, es ist eine einfache optische Modifizierung. Es übernimmt die Sicht der IIs eines Benutzers und ersetzt die gesamte Ansicht durch eine leere weiße Sicht und Textbefehle in einem HUD. Zu den Optionen, die die Kinder einprogrammiert haben, gehört das Zeigen und Lachen der Benutzer mit Hilfe eines Timers, die Aufforderung, einen Benutzer mit bestimmten Nachrichten zu zuspammen, sowie Kommentare in den sozialen Netzwerken abzugeben, usw. Um es einfach auszudrücken, es lässt die gesamte Schule wie eine zielgerichtete Mobbinggruppe agieren. Da alle Nachrichten von Einzelpersonen stammten, die sich ansonsten unabhängig voneinander verhielten, hat das Missbrauchssystem dies nicht bemerkt. Es war so einfach, dass die Legion es nicht mitbekommen hat.
“Vier Menschen sind gestorben”, sage ich ruhig. „Und du glaubst wirklich, dass es keine große Sache ist?“
„Ich habe niemanden getötet!“ sagt Ferrum mit weit aufgerissenen Augen, während er mich anstarrt. „Bitte sagen Sie es Papa. Er kann mich nicht einfach blockieren.“ Ich starre Park Ferrum weiter zurückhaltend an. Der bullige Jugendliche fällt auf die Knie in Reue. Ich blinzele zweimal und der Raum um mich herum verschwindet. Ich bleibe in einer düsteren, verschwommenen Imitation des letzten Raumes zurück.
Der Tisch und die Stühle sind noch da, ebenso die Wände und Türen, aber alles ist aus grauem Plastik, gerade so auszumachen durch das fehlende Lichts oder der fehlenden Luftfilterung. Park Ferrum ist gerade mal halb so groß wie sein Duotar, hat dunkles Haar und dazu passende Augen, ist ein dürres Kind und trägt eine weiße Weste und Shorts, die an ihm zu groß erscheinen. Seine Augen sind vom Weinen gerötet, und die Stellen auf seinen Armen und in seinem Gesicht, an denen die Tränen heruntergetropft sind, offenbaren helle, gebräunte Haut, die ansonsten mit dem Dreck bedeckt ist, der in der Luft zirkuliert.
„Ist es so schlimm von deinem Papa geblockt zu werden?“ frage ich aus reiner Neugierde.
„Es ist nicht nur mein Papa“, fleht er. Seine echte Stimme ist um einiges höher und heiser, sei es nun vom Weinen oder weil sie noch nicht ganz vom Einstellen des Filtergeräts abgeheilt ist. Kinder mit einem solchen Implantat müssen regelmäßig, alle paar Monate neu eingestellt werden. "Mit den elterlichen Einstellungen kann er mich für alle anderen, außer den Lehrern und der Legion sperren."
Nun, verdammt. Das ist seine ganz persönliche Form der Hölle. Wenn ihn Niemand sehen oder hören kann, ist er im Grunde von der Welt abgeschottet. Er könnte auch nicht streamen, da Gladius Kommunikation zwischen den Spielern erfordert. Im Grunde ist es wie im Gefängnis, aber man sieht die reale Welt um sich herum vorbeiziehen. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Republik eine solche Strafe getestet hat, um zu verhindern, dass Kriminelle wieder rückfällig werden. Eine schnelle Suche in meinen IIs, während Ferrum weiter jammert, bringt mich auf eine Studie. Diese Form der Bestrafung wurde nach nur zwei Jahren wieder abgeschafft. Während kurzfristige Einsätze dazu beitrugen, bestimmte Straftäter von Rückfällen abzuhalten, führten sie bei anderen zu erhöhter Asozialität und Aggressivität. Bei langfristigem Gebrauch führte es immer zu Gewalt, ob gegen andere oder gegen sich selbst.
Jetzt vermarkten sie es als praktische Möglichkeit, die eigenen Kinder zu bestrafen. Billy und Suzie werden nichts Böses tun können, wenn die ganze Welt sie als weiße, lautlose Leere sieht, die nur im Weg steht.
"Das… scheint tatsächlich die perfekte Strafe für Dich zu sein." Ferrum verstummt augenblicklich, seine olivfarbene Haut wird blass und seine großen Augen zittern. "Diese Duomod, die du gemacht hast, funktioniert ähnlich wie die elterlichen Einstellungen. Hast du sie deshalb gebaut? Um anderen die gleiche Art von Strafe zuzufügen, die du zu Hause erhältst?"
Park Ferrum starrt mich mit weit geöffneten Augen an, welche sich langsam verengen, während die letzten Tränen aus ihnen hervorquellen. Es ist ein bisschen beschämend zu sehen, wie sich sein kleiner Körper anspannt, wenn er aufsteht und sich beugt, also tue ich ihm den Gefallen und gehe zurück ins Duoverse. Natürlich sieht die massige Videospielfigur, die vor mir steht, viel einschüchternder aus. Sein Gesicht ist zu Klingen verengt, die alle geschärft und zum Schlag bereit sind.
"Ich habe nichts falsch gemacht. Wenn sie nicht mit ein bisschen Hänselei umgehen können, dann können sie in dieser Welt nicht überleben. Wissen Sie, mit wie viel Hass ich als Gladius-Spieler jeden Tag beworfen werde? Nachrichten, Memes, Drohungen. Sie kritisieren jeden meiner Schritte, aus keinem anderen Grund als den, dass es ihnen Spaß macht. All das ist nichts im Vergleich zu einer Blockierung. Diese Kinder haben keine Ahnung, was echter Schmerz ist!" Ich lasse den Jungen seinen Monolog beenden, bevor ich bestätigend nicke und aufstehe, um zu gehen.
"Nun, keine Sorge. Deine Strafe wird nicht die elterliche Blockierung sein, Ferrum."
"-häh?" Er entspannt sich ein wenig, die Wut in seinem Gesicht weicht der Verwirrung.
"Das ist nur die Strafe deines Vaters. Andere Kinder in deiner Klasse aktiv zu missbrauchen, diese andere Kinder dazu anzuleiten, sich an gezielten Hänseleien zu beteiligen, einen Legatus direkt anzulügen. Sobald du mit dem Sozialdienst fertig bist, wirst du zum Wehrdienst eingezogen. Ich bin mir sicher, dass deine Eltern den Block in 4 Jahren wieder aufgehoben haben werden." Ich berühre mit zwei Fingern die Seite meines Halses, und der Bericht ist bei der Legion eingereicht worden. Ferrums Augen werden unscharf, als er die Nachricht entdeckt, die soeben einen Teil seiner II Ansicht übernommen hat.
Die Richter des Arbiter Senates verschwenden keine Zeit mit ihren Überlegungen, sie nehmen einen Bericht des Legatus entgegen und entscheiden sofort über das Urteil.
melden Sie sich innerhalb einer Stunde im Legionshauptquartier, um Ihren Sozialdienst anzutreten. Bei Nichterscheinen zum festgesetzten Zeitpunkt wird Ihre Strafe verlängert. Sollten Sie versuchen zu fliehen, wird Ihre Strafe härter ausfallen.
Einen schönen Tag.
"Mach dir keine Sorgen, Kleiner. Wenn die Legion mit dir fertig ist, wirst du ein Mann sein. All das wird sich wie ein Kinderspiel anfühlen, das verspreche ich." Auf dem Weg nach draußen schließe ich die Flügeltüren zum Esszimmer. Ich kann das Schluchzen des Kindes nicht ertragen, das glaubt, es habe "nichts falsch gemacht".
Als ich durch das Wohnzimmer gehe, fällt mir wieder das Bild auf dem Kaminsims ins Auge. Etwas ist anders als beim letzten Mal, als ich es sah. Die Familie Park ist immer noch voller Freude. Die Bilderbuchdarstellung des häuslichen Glücks. Jetzt ist jedoch nur noch ein Kind auf den Bildern zu sehen. Das größere Kind hat den Arm zur Seite gestreckt und umarmt einen Bruder, den es in diesem Haushalt nicht mehr gibt. Nicht einmal eine weiße, menschenähnliche Leere ist dort zu sehen, wo Park Ferrum einst mit kindlichem Vergnügen in die Kamera strahlte.
Menschen sehen nicht gerne Dinge, die schlechte Erinnerungen aufbringen. Wenn es keine Freude auslöst, verschwindet es. Ich blinzle mit den Augen und kehre in die triste Realität zurück. Darin gibt es überhaupt nichts um den Kamin herum. Kein Fernseher und keine Trophäen, geschweige denn Familienfotos. Der ganze Raum ist ein dunkler Kasten, die großen Fenster sind mit Metallläden verschlossen, um die Strahlung draußen zu halten. Alle Möbel in dem Raum sind grau, farblos, aus Plastik und Filz. Wenn die Parks beschließen, etwas zu ändern, geben sie das Set einfach an den Laden zurück, der es dann weiterverkauft, und zwar so aussehend, wie die nächste Familie es sich wünscht. Wenn sie nicht mehr hier leben, nehmen sie die wenigen materiellen Dinge, die sie haben, mit und überlassen die Einrichtung dem nächsten Bewohner. Wenn ihre Zeit hier irgendwelche Spuren hinterlässt, werden diese nur als Reparaturkosten auf die letzte Mietzahlung aufgeschlagen.
„Legatus, sind Sie auf dem Weg nach draußen?“ Ich kehre noch einmal ins Duoverse zurück, bevor ich mich zu Park Ji-Hoon an der Tür umdrehe.
"Ja, entschuldige", antworte ich hastig. "Ihr Haus ist so schön. Ich habe mich ein wenig in der ganzen Einrichtung verloren." Daraufhin lächelt er, mit dem gleichen Ausdruck von selbstgefälligem Stolz, den ich bei Park Ferrum in der Schule gesehen hatte.
"Das kostet ein Vermögen, aber wir haben einen guten DV-Plan. Ich könnte Ihnen die Nummer unseres Agenten geben, wenn Sie daran interessiert sind?"
"Oh, nein. Ich bin sicher, mein Gehalt würde nicht annähernd ausreichen. Es ist einfach eine Freude, jemanden zu sehen, der Geschmack für die Klassiker hat." Ji-Hoon lacht darüber und nimmt in einem der Sessel Platz.
"Ich hoffe, Sie bekommen eine Art Provision für all die Bußgelder, die Sie als Wol-Legati verhängen." Er drückt einen Knopf an der Seite des Stuhls und lehnt sich halb liegend zurück. Der Fernseher blitzt auf, während er mit seinen IIs nach klassischer Musik sucht.
"Das tut mir leid. Ich verurteile die Strafe nicht, ich reiche nur..."
"- die Berichte ein. Ich weiß. Der Arbiter Senate ist ein weises und faires Gericht. Ferrums Ersparnisse haben das meiste davon abgedeckt. Der Junge war ein so guter Gladius-Spieler." Park Ji-Hoon klingt traurig, als er in der Vergangenheitsform über seinen Sohn spricht, und schüttelt dabei leicht den Kopf. Vielleicht ist er einfach nur enttäuscht. Soll ich mich für seinen Verlust entschuldigen? Ich höre die Göre noch immer im Esszimmer schluchzen. Ich versuche, einen Weg zu finden, mich zu verabschieden, ohne unhöflich zu wirken, als er fortfährt: "Es ist in Ordnung. Wir werden das gemeinsam durchstehen. Dafür ist die Familie doch da."
"...Mmmn." Schließlich kann ich mich endlich verabschieden.
Weniger als eine halbe Stunde von zu Hause entfernt und meine Legatio ist vor Sonnenuntergang fertig. Dazu feiert man mit Gin - und zwar jede Menge davon!
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